Hintergrund

Sammlerglück

Seit Beginn des Jahres 2023 lockt hinter der spektakulären Pfeilerhalle des GRASSI Museums für Angewandte Kunst ein strahlend gelber Raum – das so genannte Studiofoyer. Hier paradieren ganz außergewöhnliche Exponate in zwei großzügig bemessenen Wandvitrinen und laden zum Betrachten ein. Diese wunderbare Situation ergab sich aus einer ganzen Folge glücklicher Umstände, von denen hier berichtet werden soll.

Peter W.Schatt mit seiner Sammlung | Foto: Miriam Heckhoff
Peter W. Schatt mit seiner Sammlung in Hamburg | Foto: Miriam Heckhoff

Der Hamburger Prof. Dr. Peter.W. Schatt, Klarinettist und seit 2013 emeritierter Professor für Musikpädagogik an der Folkwang Universität der Künste in Essen wurde, völlig unabhängig von seiner musikalischen Profession, in den frühen achtziger Jahren zum Sammler. „Meine Sammelleidenschaft hat mit meinem Beruf im Grunde nichts zu tun – bei diesem ging es um die Wissenschaft, beim Sammeln um die Freude: an schönen Dingen und am Sammeln überhaupt. Als Klarinettist hatte ich mich allerdings auf  Neue Musik spezialisiert und mit Begeisterung auch Werke von Alban Berg und Igor Strawinsky gespielt. Damit hängt möglicherweise mein Faible für das Ausgefallene, ja auch Exzentrische zusammen…“

Wohnen mit der Sammlung | Foto: Peter W. Schatt

Er wurde im Jahr 1983 von seiner Frau mit einer  Deckeldose aus Porzellan beschenkt. In der Dekade zuvor, „als meine Frau und ich heirateten und einen Hausstand gründeten, gab es eine ‚Welle‘, auf der auch wir schwammen: die ‚Nostalgiewelle‘. Insbesondere meine Frau liebte es, Trödel- und Antiquitätengeschäfte zu durchstreifen. Zunächst fiel unser Augenmerk auf Produkte der Gründerzeit und des Jugendstils, dann wurden wir auf Art déco aufmerksam. Da viele Möbel, die ich mit in die Ehe brachte, dem Bauhaus-Stil verpflichtet waren, schien uns das gut zu passen – so kamen Objekte des Art déco hinzu.“

Der ersten Dose folgten bald weitere – damit aber auch die Entscheidung, sich zu beschränken, da es sonst uferlos würde: „…nur Porzellan, nur Dosen ohne Henkel (also keine Zuckerdosen), kein Spritzdekor, weil das oft auf Steingut wie Kuchenplatten oder Gebäckdosen verwendet wurde.“

Konvolut von vier Dosen aus der Sammlung Peter W.Schatt | Foto: Esther Hoyer
Konvolut von vier Dosen aus der Sammlung Peter W.Schatt | Foto: Esther Hoyer

Die Festlegung auf die Ära des Art déco als Aufbruchsbewegung der 20er- und 30er-Jahre, einen Zeitraum von maximal 15 Jahre umfassend, denn es passte nicht mehr in die Ästhetik des ‚Dritten Reiches‘, erschien dem Sammler besonders reizvoll. Das künstlerisch Innovative in Form und Bemalung, das Spitzige und Eckige, der modernen Kunst so nahe, fasziniert ihn an diesen exzentrischen und bizarren Objekten, auf die er sich nun spezialisierte. Und trotz der Konzentration und Systematik seines Sammelns ergibt sich eine unglaubliche Vielfalt, in der alles erlaubt scheint – so zeigt es die inzwischen auf über 1000 Dosen angewachsenen Sammlung. Eine große Rolle spielt die figurale Handhabe auf den Dosen, deren Form und Bemalung immer wieder neue, überraschende Ideen zeigen. Große Begeisterung, „wenn man Übereinstimmungen insbesondere mit Malerei der Zeit entdeckte: die Tendenz zur Abstraktion und Gegenstandslosigkeit, die man auch bei Kandinsky oder Mondrian findet und die viele Designs kennzeichnet.“

Dose mit FrauenkopfUnbekannter Hersteller, ca. 1925 Porzellan, Spritzdekor, teilweise handbemalt Sammlung Prof. Dr. Peter W. Schatt | Foto: Philotheus Nisch
Dose mit Frauenkopf
Unbekannter Hersteller, ca. 1925
Porzellan, Spritzdekor, teilweise handbemalt
Sammlung Prof. Dr. Peter W. Schatt | Foto: Philotheus Nisch

Seit vielen Jahren pflegt Peter W. Schatt die Sammlerfreundschaft mit Gisela Krause-Ausborn und ihrem jüngst verstorbenen Ehemann, dem Künstler Gerhard Ausborn, beide ebenfalls Art déco-Porzellan sammelnde Hamburger. Durch sie lernte er das Grassimuseum mit seiner 1927 erbauten und 2010 wieder vollständig renovierten Pfeilerhalle kennen, die er bislang nur von Abbildungen kannte. Gemeinsam entwickelten sie spontan die Vorstellung: „Hier müssen unsere Objekte ausgestellt werden! Wir stellten in ‚konzertierter  Aktion‘ den Kontakt zu Herrn Dr. Thormann her, er besuchte uns in Hamburg, und der Plan zur Ausstellung „Spitzen des Art déco“, die 2019 realisiert wurde, war geboren.“

Da es sich um die wohl deutschlandweit größte Privatsammlung von Art déco-Dosen handelt, hätte Peter W. Schatt es sehr bedauert, wenn sie nach seinem Tode in alle Winde verstreut würde. So entstand seine Idee des Vermächtnisses an ein Museum, wo sie erhalten bleibt und viele Menschen sich daran erfreuen können. „Also habe ich sie testamentarisch dem Grassimuseum vermacht und die Schenkung an die Bedingung geknüpft, dass ein bestimmter Prozentsatz ausgestellt werden muss. Die vorliegende Lösung des Raumproblems war Herrn Dr. Thormanns Idee, und ich habe spontan die Finanzierung zugesagt. Andere bauen sich ein Grabmal – ich glaube, dies war eine bessere Idee!“

Studio-Foyer mit Dr. Olaf Thormann und Peter W.Schatt | Foto: Grassi Museum für Angewandte Kunst Archiv
Studio-Foyer mit Dr. Olaf Thormann und Peter W.Schatt | Foto: Grassi Museum für Angewandte Kunst Archiv

Der Entwurf der Umgestaltung des „Studiofoyers“ von Heinz-Jürgen Böhme, der auch alle drei Teile der Ständigen Ausstellung mit gestaltet hatte, begeisterte den Mäzen in formaler und farblicher Hinsicht sehr. Hier kommen seine zwischen Zierstück und Gebrauchsgegenstand zu verortenden Porzellandosen der 1920er- und frühen 1930er-Jahre herrlich zur Geltung. Ihre verspielten Formen, brillante Farbfreude und neckischen Handhaben abstrahieren die Natur, Flora und Fauna. Dekore mit expressivem Duktus und strenge Geometrien durchdringen sich hier. Auch der sogenannte Zackenstil der angrenzenden Pfeilerhalle findet sich im Kleinen an den Exponaten in den Vitrinen wieder. Regelmäßig wechselnde Themen-Ausstellungen werden auch in Zukunft den Reichtum der Schatt’schen Sammlung feiern.

Natürlich geht die Frage an den Sammler, ob die Jagd nun abgeschlossen sei, und er antwortet:

Studio-Foyer | Foto: Grassi Museum für Angewandte Kunst Archiv
Studio-Foyer | Foto: Grassi Museum für Angewandte Kunst Archiv

„Im Rosenkavalier legte Hugo von Hofmannsthal der Marschallin die weisen Worte in den Mund: ‘Jedes Ding hat seine Zeit’ – das ist auch meine Erkenntnis im voranschreitenden Alter. Die Zeit des Jagens ist vorbei. Die Floh- und Antik-Märkte sind inzwischen eher unergiebig, da mittlerweile die interessantesten Stücke bei eBay oder in Auktionen gehandelt werden. Das heißt nicht, dass ich nicht die Augen bei Lottissimo und eBay offenhalte: Es gibt noch einige wenige ‚Objekte der Begierde‘, die ich unbedingt haben möchte – da gibt es nach wie vor kein Halten mehr!“

Im Rahmen der aktuellen Sonderausstellung DANKE. MERCI. GRAZIE. HARTELIJK DANK. (09.11.2024 bis 05.10.2025) in der Pfeilerhalle des Museums werden auch im Studio-Foyer Objekte aus der Schenkung der Art déco-Porzellansammlung Prof. Dr. W. Schatt neu arrangiert und ausgestellt. “DREIECK, KREIS, QUADRAT. Art déco-Porzellane mit geometrischen Formen” ist bis zum 13.04.2025 zu sehen.