Hintergrund

100 Jahre Neuigkeiten – GRASSIMESSE 2020

Sabine Epple ist seit dem Jahr 2000 als Kuratorin für die GRASSIMESSE  als internationales Forum für angewandte Kunst und Design verantwortlich. Professionelle Routine glaubt man da vermuten zu dürfen. Doch in meinem Gespräch mit ihr über die GRASSIMESSE 2020 fallen vor allem Begriffe wie Chance, Experiment, Flexibilität. Voller Elan schildert sie die besonderen Umstände, mit denen sich Veranstalter und Aussteller der GRASSIMESSE 2020 auseinander setzen müssen, wenn die Messe wie geplant vom 23. bis 25. Oktober als eine der ersten Verkaufsausstellungen für das gestaltende Handwerk in Deutschland zur Corona-Zeit stattfinden soll.

Mi Sook Hwang, Gefäße, 2019 – 2020, Porzellan und Steinzeug; gedreht, bemalt, verschiedene Maße | Foto: Mi Sook Hwang

Das GRASSI Museum für Angewandte Kunst ging schon mit seiner Ausschreibung in Vorlage: auf die Teilnehmergebühren wird aus Solidarität mit den Künstler*innen verzichtet. Fast 320 Bewerbungen, so viele wie nie zuvor, waren ein beredter Hinweis darauf, wie sehr die GRASSIMESSE als ein Hoffnungsschimmer in diesem Herbst gesehen wird. Damit sank zwar die statistische Chance genommen zu werden – doch das Angebot der Messe konnte nur profitieren, zumal auch die Zahl der internationalen Bewerbungen deutlich höher war als sonst.

Lorenzo Franceschinis, Ctenophora, 2019, Wood (walnut), woodturning-sculpure, 43x22cm (h:d), Foto: Lorenzo Franceschinis

Das Gastland Litauen steht schon länger fest. Die Galerija Vartaii und das Designforum Vilnius wurden eingeladen, angewandte Kunst zu präsentieren. Rita Valiukonytė, Kulturattachée der Republik Litauen und in diesem Jahr Jurymitglied, sprach darüber hinaus 20 Einzelkünstler*innen an, die sich für die Teilnahme an der Messe bewarben. Besonders viele Aspirant*innen kamen aus Österreich und aus Italien. Hier hatte Waldemar Kerschbaumer, Partner des Schmuckkünstlers Gian Luca Bartellone, der auch in diesem Jahr in Leipzig ausstellen wird, kurzerhand all jene angewandten Künstler*innen, die er für eine durch Corona ausgefallene Ausstellung als Kurator ausgewählt hatte, auf die Möglichkeit an der GRASSIMESSE teilzunehmen aufmerksam gemacht. Aus den USA, aus Taiwan, aus der ganzen Welt kamen spannende Bewerbungen, sodass die Messebesucher*innen, neben dem Bekannten und Bewährten, mit einem umfangreichen Anteil neuer Beiträge rechnen können. Bei aller Euphorie lassen die Organisator*innen doch Vorsicht walten, indem sie eine Gruppe Nachrücker informierten, die den Ausfall wegen möglicherweise eintretender Corona-Einreiseverbote übernehmen können.

Jonas Noël Niedermann, Modular Shapes, 2020, Glas und Messing | Foto: Cæciliie Philipa Vibe Pedersen

“Für 79 Ausstellende und um die geltenden Abstandsregeln einzuhalten, müssen wir uns erweitern.“, konstatiert Sabine Epple. „Alles wird bespielt! Neben den üblichen Ausstellungsräumen werden wir auch die Foyers und die Räume der Dauerausstellung Antike bis Historismus mit etlichen 1.000 Quadratmetern einbeziehen. Mindestens 20 Stände wird man dort mitten unter die historische Kunst bringen, genau geplant, denn wir wollen nicht, dass Ausstellerinnen und Aussteller, die einen tollen Stand im Barock-Kopfbau haben, das Gefühl haben, sie werden nicht gefunden. Es lassen sich bestimmt interessante inhaltliche Bezüge herstellen und Kontrapunkte setzen, ohne aus den Augen zu verlieren, dass es auf der Messe auch um den Verkauf gehen muss.“ Natürlich sind auch noch technische und konservatorische Fragen zu klären, doch Sabine Epple ist optimistisch und freute sich über die Gelegenheit, mal etwas anders zu machen und Experimente zu wagen.

Ulla und Martin Kaufmann, Kube, Nachgearbeitet 2019, Messing vergoldet, montiert, H: 130mm B: 130mm T: 130mm, Foto: H.P. Hoffmann

Dass es so viele mehr Aussteller als in den Vorjahren geben wird, liegt auch an dem 100. Geburtstag der GRASSIMESSE. Doch da demnächst auch 125 Jahre seit der Gründung des GRASSI Museums für Angewandte Kunst anstehen, und die GRASSIMESSE auch Teil von dessen Biographie ist, wird man sich aktuell nur auf die Kommunikation des 100-jährigen Messegeburtstages in den Drucksachen beschränken und keine größere Feierlichkeiten planen.

Ja, und doch wird es ein Highlight geben, mit dem Fokus auf die Gegenwart: Ulla und Martin Kaufmann haben seit 1997 mit ihren zauberhaften Silber- und Goldarbeiten niemals auf der GRASSIMESSE gefehlt. Ihnen wird eine kleine Sonderschau in den beiden prominenten Foyer-Vitrinen eingerichtet, in der sie sich ausschliesslich auf den verblüffenden Variantenreichtum ihrer strengen Kuben in vergoldetem Messing konzentrieren möchten. Ein Film, der die unterschiedliche Funktionalität und Lichtwirkung dieser Objekte dokumentiert, wurde schon fertig gestellt.

Leopold Masterson, Generic Necklace Two (custom hand gun box), 2019 | Foto: Leopold Masterson

Meine letzte Frage in unserem Gespräch galt möglichen Trends und Themen, die sich angesichts der vielen Objekte im Laufe des Auswahlprozesses heraus kristallisiert haben könnten. Natürlich sei das Thema Nachhaltigkeit allgegenwärtig, konstatiert Sabine Epple. Auch der Einfluss von Subkulturen aller Art, Humor, Materialuntersuchungen – mit der ewigen Frage, was das Material kann bzw. was ICH mit dem Material kann – und schließlich durchaus politische Statements, die weit über die reine Objekt- und Material-Ästhetik hinaus weisen. Die Kuratorin Sabine Epple freut sich vor allem über die Vielfalt, das Internationale – und fragt sich nahezu im gleichen Atemzug, was denn das Internationale eigentlich bedeutet? Dieses womöglich auf einer inspirierenden Entdeckungsreise zur GRASSIMESSE 2020 heraus zu finden, versetzt uns als Besucher*innen schon jetzt in große Vorfreude.

GRASSIMESSE vom 23. bis 25. Oktober 2020
Johannisplatz 5-11
04103 Leipzig