Hintergrund

Begeisternde Buchkunst: die Sammlung Berthold Schroeder

Kostbare Pressendrucke, Einbandkunst und druckgrafische Illustrationen aus der Sammlung des Hamburger Kaufmanns Berthold Schroeder ergänzen seit neuestem die Bestände des GRASSI Museums für Angewandte Kunst. Er trug diese, zu seiner Zeit aktuellen, bibliophilen Schätze im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts zusammen und konzentrierte sich überwiegend auf die erlesensten Vorzugsausgaben literarischer Klassiker deutscher, englischer und französischer Pressen. Man darf vermuten, dass die Fantasie seiner Enkelin, der Illustratorin Binette Schroeder, schon als junges Mädchen im großelterlichen Haus durch einzelne Bände dieser Sammlung für ihre Kunst beflügelt wurde. Die Bibliothek ihres Großvaters bewahrte sie als Teil einer thematisch facettenreichen Sammlung, die sie gemeinsam mit ihrem Partner, dem Kurator Peter Nickl, aufbaute. Als großartiger Experte und Connaisseur der Handwerkskünste machte Peter Nickl die Galerie Handwerk und die Sonderschauen der IHM München in den 1980er Jahren international bekannt. Binette sorgte für zauberhaft originelle Entwürfe der Ausstellungseinladungen der Galerie, Peter hat großen Anteil an den wunderbaren Texten ihrer Bilderbücher. (z. B. Krokodil Krokodil)

Dr. Olaf Thormann ist schon seit vielen Jahren mit dem Sammlerpaar verbunden, von dem das GRASSI Museum für Angewandte Kunst bereits Ende 2020 eine wertvolle Kollektion an Autorenschmuck übernehmen durfte, die mit erlesenen Stücken ein Zeitfenster von ca. 25 Jahren öffnet. Während eines Besuches waren ihm die außerordentlichen Buchbestände aufgefallen und er wurde eingeladen zu schauen, was ihn interessieren könnte.

Die grafische und Buchkunst-Sammlung ist der Grundstein des Museums. Bereits 1874 zu seiner Gründung als zweites Kunstgewerbemuseum Deutschlands, erwarb man die Brinckmann-Drugulinsche Ornamentstichsammlung mit ca. 16.000 Positionen grafischer Blätter und historischer Bücher. Spätere Erwerbungen bauten den Bestand erheblich aus, deckten aber den Zeitraum von circa 1895 bis 1930 eher spärlich ab. Dieses Defizit wird nun, mit dem Erwerb der Schroederschen Bibliothek ausgeglichen. Dieser wurde durch Fördermittel der Sächsischen Landesstelle für Museumswesen und dem, ein Drittel des Kaufpreises abdeckenden Beitrag, Freundeskreises des GRASSI Museums für Angewandte Kunst e. V. möglich. Mit dem Geld erfüllen sich Binette Schroeder und Peter Nickl ein Herzensanliegen: Es wird den Projekten des Zentrums für internationale Kinder- und Jugendliteratur im Schloss Blutenburg zu Gute kommen, das mit seinem Programm sowie mit dem Unterhalt mehrerer Literaturmuseen der internationalen Kinder- und Jugendliteratur ein Forum gibt.

Doch wie kommt man bei einem solchen Übernahmeprozess zu Werten? Dr. Olaf Thormann bearbeitete seine Buchliste gemeinsam mit Volontärin Sandra Braune und Bibliothekar Eberhard Patzig, indem sie in den einschlägigen Nachschlagedatenbanken Vergleichswerte ermittelten. Doch nicht immer ist das letztgültig möglich, denn es kommen manchmal vergleichbare bibliophile Schätze auf den Markt, beispielsweise in Auktionen. Deren Ergebnisse müssen abgewartet werden, da die Schätzungen die Dimensionen zu sehr verzerren, wie z.B. für die besonders begehrte Ausgabe des „Tod in Venedig“ von Thomas Mann aus dem Münchner Hyperion-Verlag, Hans von Weber 1912. Mit neun weiteren kostbaren Positionen wurde es zurückgestellt, um später die Leipziger Bestände zu ergänzen.

Die Schwerpunkte setzte Berthold Schroeder auf einen feinen, übersichtlichen Bestand illustrierter Werke aus Frankreich aus dem frühen und mittleren 19. Jahrhundert. Darüber hinaus sammelte er vor allem seine Zeitgenossen. Ein großes Thema sind Drucke von William Morris, der in den 1890er Jahren die mittelalterliche Buchkunst im Sinne des Jugendstils fortführte und mit seiner Typographie Maßstäbe setzte. Die Sammlung zeigt wie sehr der Geist der Arts and Crafts vieles in Bewegung brachte. Und nur zehn Jahre später gehen Buchgestaltung und Einbandkunst schon mal weit über den Jugendstil hinaus und denken in ihrer minimalistischen Klarheit die 1920er Jahre voraus.

Die Leipziger Buchkunst, deren einstige Orte im grafischen Viertel, in unmittelbarer Nähe des Grassimuseums lagen, dominiert die deutschen Bestände der Sammlung, neben einigen Exemplaren der Bremer Presse. Sie feiern überwiegend die Typografie und Einbandkunst, die durch die avisierte Schenkung einer kostbaren Berliner Privatsammlung illustrierter Bücher der Zeit ihre ideale Ergänzung finden wird. „Es macht mir besondere Freude, dass diese beiden Sammlungen in ihrer Akzentuierung ein schönes, sich ergänzendes Bild ergeben.“, betont Dr. Olaf Thormann. Mit insgesamt 800-900 Bänden aus dem Zeitraum spätes 19. Jahrhundert bis frühes 21. Jahrhundert erfährt die Museumssammlung damit eine schlagartige Aufwertung. „Man macht sich ja auch immer Gedanken um die Sinnhaftigkeit“ beschreibt er seine lange Beschäftigung mit dem Thema, „die druckgrafischen Künste sind die, denen alle anderen Künste inhärent sind. Sie haben den anderen Künsten etwas voraus und stehen in vielfältiger Beziehung zur gesamten Sammlung. Wir haben z. B. hier in der Schroederschen Sammlung schon 1916 entstandene Bücher mit Art déco Einbänden, bei denen man meint die Pfeilerhallen-Innenarchitektur von 1927 quasi in Händen zu halten.“

Vielfältige gestalterische Ansätze finden sich in Handeinbänden und originalgrafischen Illustrationen kleiner erlesener Auflagen. Diese wurden oft von ihren Schöpfern signiert und datiert, was für das Selbstbewusstsein der Buchkünstler in dieser Zeit spricht. Die handwerklichen und gestalterischen Herausforderungen solch bibliophiler Meisterwerke sind aus heutiger Sicht schwer vermittelbar. Das Gespür für Schriftschnitte und eine typographische Balance von Inhalt und Gestaltung sind allgemein wenig ausgeprägt. Die Wertschätzung von Materialien, von Leder über Pergament und Papier definiert sich heute eher über teuer oder billig und weniger über eigene sinnliche Erfahrungen. Das Wissen um Gestaltungstechniken und die Hochachtung vor originalgrafischen Illustrationen wirkten damals unangefochten von anderen Medien und führten ganz offensichtlich viele handwerklich gestaltende Berufe in einem Werk zusammen. Diese wunderbaren Bücher in der Hand vermitteln als Gesamtkunstwerke das Streben nach Vollkommenheit und suchen die Anerkennung ihrer Leser.

Das Glück des Museumsdirektors über diesen Neuzugang ist zu greifen. Er freut sich über die Schwerpunkte, aber auch Vielseitigkeit dieser Sammlung, in der sich eine ganze Epoche erklärt. „Sie ermöglicht die Kunst in ihrer Gesamtheit zu sehen!“ Der Bücherverbrennung durch die Nationalsozialisten vom 10. Mai 1933 fielen Millionen von Büchern zum Opfer, der Aderlass der Ostantiquariate bedeutete einen unendlichen Verlust. Die Buchgestaltung gehört jedoch zum Vorstellungskreis einer Zeit und ist nun glücklicherweise auch in der Sammlung des GRASSI Museums für Angewandte Kunst auf besondere Weise erlebbar.