Ausstellung Hintergrund

Das Fayence-Fieber – im Gespräch mit Dr. Thomas Rudi

Die Krönung akribischer, leidenschaftlicher Arbeit liegt nun, wenige Tage vor Eröffnung der Ausstellung »DELFT PORCELAIN. Europäische Fayencen« vor. Dr. Thomas Rudi, Kurator Historische Sammlungen am GRASSI Museum für Angewandte Kunst, freut sich: „ Es handelt sich hierbei um die wissenschaftliche Bestands- und Verlustaufnahme der 736 europäischen Fayencen des 17. und 18. Jahrhunderts in unserem Haus. Seit der Gründung des Museums wurden Fayencen gesammelt. Heute gehören wir schon zu den großen Sammlungen von Fayencen in Deutschland!“

Diese Freude lässt sich noch steigern! In der Orangerie des Museums wartet eine geradezu schwebende, lichtdurchflutete Ausstellung darauf ihre Besucher zu bezaubern. Wohl überlegt hat Dr. Thomas Rudi seine Schätze in den Archiven gesichtet. „Dort stehen die Fayencen alphabetisch nach Manufakturen geordnet, weil das vom Handling her am zweckmäßigsten ist. So weiß ich, wo Nürnberg, Fulda oder Delft… steht.

Fayencen sind ja kein einfaches Thema für den heutigen Besucher, denn die meisten wissen gar nicht mehr, was darunter zu verstehen ist.“ Also erklärt er das zu Beginn des Rundgangs. “Da gehe ich auf das Material ein, auf die Geschichte und auf die Anfänge der Fayence.“ Hier wird anschaulich, wie ein Tongefäss mit weiß deckender Zinnglasur überzogen und mit kobaltblauen Dekoren bemalt wird. „Ich hätte die Ausstellung ja ganz klassisch nach Manufakturen ordnen können, aber wen interessiert das heute noch? Doch nur die Spezialisten, die Sammler. Also habe ich die Fayencen jetzt nach Verwendungszweck und nach Motiven ausgewählt. Wofür wurden Fayencen denn überhaupt hergestellt? Der Laie stellt sich unter Fayencen höchstens Vasen vor!“

Blick in die Fayence-Ausstellung während der Vorbereitung – Foto: Schnuppe von Gwinner

Schnell wird klar, dass es sich um eine überwältigende Mode handelte, die im 17. und 18. Jahrhundert ganz Europa erfasste. Fayencen gehörten zum festen Bestandteil exklusiver Innenraumausstattung und machten als vielseitige, fantasievoll dekorierte Gebrauchsgegenstände Karriere.

„Als die ‘Vereenigden Oostindischen Compagnie’ damit begann, Porzellane aus Ostasien zu importieren, die in Delft und Amsterdam verauktioniert wurden, war man vollkommen hingerissen davon, weil man Porzellan in Europa noch nicht herstellen konnte. Delft entwickelte sich zu einem der größten Fayence-Zentren in Europa. Teilweise produzierten dort 34 Manufakturen gleichzeitig. Diese Fayencen hat man als Ersatz für das teurere Porzellan gesammelt, weshalb man sie auch als „Delft Porcelain“ bezeichnete. In dieser Zeit wurden die Porzellankabinette eingerichtet, die es bis heute in vielen Schlössern noch gibt. Dort stellte man die ostasiatischen Porzellane Seite an Seite mit Fayencen auf Konsolen aus. Man hat nicht unterschieden, die Objekte hatten das gleiche Niveau, die gleiche Anmutung und man begeisterte sich einfach für deren exotischen Stil.“

Als die Delfter Fayenciers im letzten Drittel des 17. Jhs. wegen ihres calvinistischen Glaubens verfolgt wurden, wanderten sie in andere Länder aus. In Hanau wurde 1661 die erste deutsche Manufaktur gegründet, der viele weitere folgten. Mitte des 18. Jhs. gab es alleine in Deutschland 80 Manufakturen die Fayencen herstellten, teilweise Gründungen von Landesherren, aus finanziellen Gründen, weil man keine Importe zulassen sondern selbst produzieren wollte, oder von Kaufleuten die sich zusammen taten, eigene Fayencefabriken zu gründen. Sie überlebten unterschiedlich lange, Straßburg 60 Jahre, Stockelsdorf nur 15 Jahre.

Von der Manufaktur im norddeutschen Stockelsdorf weiß Dr. Rudi Erstaunliches zu berichten: „Anhand der erhalten gebliebenen Produktions- und Verkaufslisten weiß man, dass circa 234.000 Fayencen in den 15 Jahren ihres Bestehens hergestellt wurden. Heute sind weltweit nur noch 450 erhalten. D.h. 0,2 % der Gesamtproduktion. Das ergibt ein ganz skurriles Bild, denn es sind natürlich nur die Objekte erhalten, die besonders wertgeschätzt wurden oder die besonders herausragend waren. Der Rest ist verloren.“

Entgegen unserer Vorstellung heute waren Fayencen damals vor allem Gegenstände des alltäglichen Gebrauchs, von der Barbierschale bis zum Perückenständer, dem Stockknauf, dem Schreibzeug, dem Bilderrahmen, der kleinen oder großen Deckeldose, dem Kakaoservice, der Menage, dem Geschirr mit Tellern, Schüsseln, Kannen, der Sauciere und der Schnabeltasse. Diese Dinge wurden gebraucht, vererbt, verschenkt, kamen aus der Mode oder wurden beschädigt, geflickt und dann erst weggeworfen.

„Heute sind vor allem die high class Objekte erhalten, die damals schon sehr teuer waren, aufwändig in der Produktion, außergewöhnlich in ihrer Form, in ihrer Bemalung. Sie wurden gesammelt, wertgeschätzt, aber nicht häufig benutzt“ erklärt Dr. Rudi, „diese Fayencen kamen ins Museum und werden jetzt gezeigt – sie bilden insofern ein klassisches Sammelgebiet für jedes Museum für Kunsthandwerk, weil man daran auch viel über die Kunst- und Kulturgeschichte der Zeit ablesen kann.“

Seine pointierte Auswahl der Exponate nimmt den Besucher mit auf eine faszinierende Entdeckungsreise, die vielfältige Vergleiche nahe legt, „beispielsweise der Art der Bemalung und Motivwahl. Es ergeben sich spannende Zusammenhänge weil die Qualitäten der Bemalung so unterschiedlich sind, je nach Manufaktur. Manche Malereien sind hochpräzise, andere erscheinen dagegen viel einfacher. In der Ausstellung kann man vergleichen, wie unterschiedlich Blumenmotive und Dekore, Jagdarstellungen oder auch galante Szenen, Soldaten, Architekturen und Landschaften sowie christliche Motive auf Fayencen gemalt wurden.“

Die Freiheit der Künstler und Handwerker zu kopieren wurde durch nichts eingeschränkt und macht eine Zuschreibung bestimmter Dekorelemente an eine Manufaktur, womöglich an einen Maler, äußerst kompliziert, wenn nicht unmöglich. Sie fordert den Kennerblick, denn Manufakturmarken, wie sie beim Porzellan generell eingesetzt wurden, gibt es bei den Fayencen nur selten. „Maler und Töpfer wurden von den Manufakturen untereinander aggressiv abgeworben. Es war ein überaus hartes Leben! Von morgens um 5 bis abends um 19 Uhr, auch samstags, wurde gearbeitet. Auch Kinderarbeit war weit verbreitet. Manche Farben waren giftig und beim Brand wurden giftige Dämpfe frei gesetzt. Das war gefährliche Arbeit und die Konkurrenz der Maler und Töpfer untereinander war sehr groß.“

Parallelen zu unseren modernen Verhältnissen sind auffallend. Themen wie Musterschutz, Urheberrecht, Massenproduktion, Arbeitsbedingungen etc. sind damals wie heute brisant. Nur die Wertschätzung solcher Objekte, deren Herstellung ebenso anspruchsvoll wie riskant war, ist uns heute abhanden gekommen. Heute wird etwas Unmodisches oder Beschädigtes schnell durch einen Neukauf ersetzt. „Die Fayencen waren nach heutigem Verständnis sehr nachhaltig, denn ein keramisches Gefäß hat man wertgeschätzt, man hat es repariert und über Generationen weiter gereicht,“ stellt Dr. Rudi fest, „ das muss man sich bewusst machen, denn nur deswegen gibt es diese Objekte heute noch.“

Die Ausstellung:

Delft Porcelain. Europäische Fayencen.

GRASSI Museum für Angewandte Kunst Leipzig

23.11. 2017 bis 06.05.2018

Öffnungszeiten: Di-So, Feiertage: 10-18 Uhr

Mo und am 24.12. und 31.12. geschlossen

Freier Eintritt an jedem ersten Mittwoch im Monat

 

Die Publikation:

Delft Porcelain. Europäische Fayencen.

Dr. Thomas Rudi

wissenschaftlicher Katalog über den Bestand und die Verluste an europäischen Fayencen des 17. und 18. Jahrhunderts in der Sammlung des GRASSI Museums für Angewandte Kunst, Leipzig

Passage-Verlag, Leipzig (ca. 376 Seiten, 939 Abb., Euro 25).

Das Lieblingsobjekt des Kurators: Bildplatte, Bayreuth, Knöllerperiode, 1736 – Foto: Grassimuseum für Angewandte Kunst, Leipzig