Hintergrund

Erlöst vom Schatten des nationalsozialistischen Unrechts

Glücklich darüber, eine für alle Beteiligten faire und gute Lösung erreicht zu haben, versammelten sich jüngst die in den Restitutionsprozess Margarete Oppenheim involvierten Akteure zu einer Feierstunde im GRASSI Museum für Angewandte Kunst Leipzig, um einander Dank und Respekt zu erweisen.
Provenienzforschung bedeutet vor allem Selbstverständliches in Frage zu stellen, bekannte Objekte erneut zu befragen und geläufigen Erzählungen neue Facetten und Sichtweisen hinzuzufügen. Historische Sammlungspraxis wird kritisch hinterfragt, Vergessenes in Sammlerbiographien sichtbar gemacht, um gerechte Lösungen hinsichtlich NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes zu finden.

Spitzensammlung Ständige Ausstellung „Antike bis Historismus“, Raum 15 | Foto: SvGwinner

Umfangreiche Recherchen und gutachterliche Ermittlungen aller Beteiligten führten auch im Fall der Leipziger Stücke aus dem Kunstbesitz Margarete Oppenheims zu einer angemessenen Einigung mit den Erben. Die für das Museum unverzichtbaren und seit 2007 in der Ständigen Ausstellung „Antike bis Historismus“ präsentierten Objekte konnten Dank der anteiligen Förderung der Kulturstiftung der Länder, der Sächsischen Landesstelle für Museumswesen, der Sparkasse Leipzig und einem Eigenanteil erworben werden. Die anderen Objekte, die in den Magazinen verwahrt und nicht öffentlich präsentiert werden, wurden den Erben zurückgegeben.
Dr. Skadi Jennicke, Leipzigs Bürgermeisterin für Kultur, betonte besonders den Umstand, dass Stadt und Museum die Initiative in dieser Sache ergriffen hatten.

Deckelhumpen und Teeservice aus gedrechseltem Serpentin, Ständige Ausstellung „Antike bis Historismus“, Raum 17 | Foto: SvGwinner

Im Januar 2018 wurde Museumsdirektor Dr. Olaf Thormann durch eine Pressemeldung aufmerksam. Die Stiftung Preussischer Kulturbesitz hatte sich entschlossen, Werke, die bis 1936 zur Sammlung Margarete Oppenheims gehörten, zu restituieren beziehungsweise neu zu erwerben. Auch die Sammlungen des GRASSI Museums für Angewandte Kunst umfasste 25 Objekte aus dieser wertvollen Privatsammlung, die nun neu bewertet wurden.
Auch wenn sich der Prozess der Wiedergutmachungsregelung dann noch fast 3 Jahre hinzog, erscheint das, gemessen an dem Anspruch und Ziel dem sich alle verpflichtet fühlten, angemessen. Richtschnur des Handelns waren dabei stets die Vorgaben der Washingtoner Prinzipien und der „Gemeinsamen Erklärung“ von Bund, Ländern und Kommunen.

Vitrine mit Galanterien,
Ständige Ausstellung „Antike bis Historismus“, Raum 22 | Foto: SvGwinner

Doch wer war Margarete Oppenheim, aus deren Nachlass diese Schätze der angewandte Kunst kommen?

Die Familie der gebürtigen Leipzigerin Margarete Eisner (*10.10.1857) gehörte zum wohlhabenden jüdischen Bürgertum, ihr Vater war Mitbegründer der Manufaktur-Handlung Callmann & Eisner. Im Jahr 1876 zog die Familie nach Berlin. Im gleichen Jahr heiratete Margarete den Chemiker Georg Reichenheim, dessen Familie Textilfabriken in Schlesien besaß, und konvertierte zum evangelisch-christlichen Glauben. 1877 wurde ihre Tochter Charlotte geboren, der 1879 geborene Sohn Hans starb 1900 als Student. 1888 verkaufte die Familie Reichenheim ihre Fabriken und widmete sich ganz der Verwaltung ihres Vermögens, zum Beispiel auch dem Aufbau einer Kunstsammlung, seit 1890 beraten durch den den Berliner Museumsdirektor Wilhelm Bode.

Ein Paar Miniaturpantoffeln, Delft, 2. Viertel 18. Jh. Fayence, polychrome Inglasurbemalung, Aufglasurbemalung in Gold | aus der Sammlung Margarete Oppenheim

Dieser beschrieb Georg Reichenheim als „Kunstfreund von ungewöhnlichem Qualitätssinn und ausgesprochener Vorliebe für ‘objets de vitrine’“. Schon bald galt die Sammlung der Reichenheims als eine der bedeutendsten Privatsammlungen ihrer Art in Deutschland. 1903 starb Georg Reichenheim und hinterließ einen auf 4.700.000 Mark geschätzten Nachlass der je zur Hälfte an Margarete und ihre Tochter fiel.
Nunmehr finanziell unabhängig sammelte Margarete weiter und entdeckte über das Kunsthandwerk hinaus ab 1904 die moderne, vor allem französische Malerei – wohlgemerkt gegen den allgemeinen Zeitgeist. Erst in den 1920er Jahren wurde ihr Mut in dieser Hinsicht anerkannt. Ihre Cézanne-Sammlung gilt als die Größte, die es je auf deutschem Boden in privater Hand gab.

Max Liebermann, Bildnis Frau Margarete Oppenheim, Zeichnung 1917 – Stedelijk Museum Amsterdam | Quelle: Wikipedia

Eine zweite Ehe schloss sie 1906 mit dem Chemiker Kurt Oppenheim, damals Generaldirektor des Unternehmens Agfa. Nach 1913 bewohnte die Familie ein vom Architekten Hugo Wach geplantes Stadthaus mit Galerieräumen im Berliner Tiergartenviertel sowie das nach den Plänen des Architekten Alfred Messel erbaute Landhaus Oppenheim in der Villenkolonie Alsen in Berlin-Wannsee. Auch dieses war mit Vitrinen, Ausstellungsräumen und einem weitläufigen Garten für die Sammlungsobjekte von Margarete Oppenheim ausgestattet. Das Ehepaar Oppenheim bewegte sich in einem prominenten Bekanntenkreis. In der Öffentlichkeit trat Margarete als Stifterin und Kunstmäzenin auf und engagierte sich im Kaiser Friedrich Museumsverein und in der Deutschen Gesellschaft für Ostasiatische Kunst. Nach dem Tod ihres Mannes im Jahr 1929 wurde sie zur Vorerbin erklärt und übernahm auch seine Mitgliedschaft in der Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften.

Deckelhumpen (1936.1) Zöblitz, um 1620, Serpentin, gedrechselt und geschliffen, Montierung: David Winckler, Freiberg; Silber, teilweise vergoldet, im Deckel ein 1615 von Kurfürst Johann Georg I. in Gemeinschaft mit seinem Bruder August herausgegebener Silbertaler, Höhe: 16,1 cm, Durchmesser: 11,4 cm | aus der Sammlung Margarete Oppenheim

Mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler durch Reichspräsident Paul von Hindenburg am 30. Januar 1933 war diese Welt dem Untergang geweiht. Margarete Oppenheim trat von ihren sämtlichen Ehrenämtern zurück. Sie starb im September 1935 in Berlin, kurz vor dem Erlass der Nürnberger Rassegesetze. Ihr Vermögen ging an ihre Tochter und die Kinder von Franz Oppenheim. Ihre Kunstsammlung umfasste „rund 400 Galanterien, 150 Silbergefäße, 400 Keramiken (Porzellane, Fayencen, Majoliken), Textilien, Möbel, Asiatika des 16. bis 18. Jahrhunderts und zahlreiche Gemälde französischer Impressionisten, u. a. von Vincent van Gogh, Eduard Manet und Paul Cézanne.“ Margarete Oppenheim hatte verfügt, dass ihr Kunstbesitz zu versteigern sei, wobei der passende Zeitpunkt von den Erben festgelegt werden sollte. Doch es gab weder für die jüdischen Erben, die schon ihre lebensrettende Emigration in die Schweiz vorbereiteten, noch für die jüdischen Testamentsvollstrecker einen geeigneten Zeitpunkt. Die dramatischen politischen Verhältnisse setzten sie unter Zugzwang.

Deckelhumpen mit Gießrohr (1936.2)
Hans Schmidt, Leipzig, um 1627/1629,
Silber, gegossen, getrieben, vergoldet
Höhe: 16,5 cm, Durchmesser: 12,4 cm
aus der Sammlung Margarete Oppenheim, Ständige Ausstellung „Antike bis Historismus“, Raum 19

So kam die Sammlung Margarete Oppenheims schnellstmöglich durch die Münchner Kunsthandlung Julius Böhler im Frühjahr 1936 zur Ausstellung und am 18. bis 20. Mai zur Versteigerung. Viele Objekte wurden unter Schätzwert zugeschlagen und die Erlöse auf ein Nachlasskonto gezahlt. Für das damalige Leipziger Kunstgewerbemuseum ersteigerte die Kuratorin der Textilsammlungen, Dr. Maria Schuette 25 Kunstwerke. Ein mit ihren Annotationen versehenes Katalogexemplar der Versteigerung ist bis heute erhalten. Der Familie gelang die Emigration, aber sie war verpflichtet, hohe diskriminierende Abgaben, wie Reichsfluchtsteuer und Judenvermögens-abgabe, zu zahlen. Der in Deutschland zurückgelassene Nachlass wurde nach der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25.11.1941 beschlagnahmt.

Kragen, geklöppelt, Guipure, ohne Stege, Brüssel, 17. Jh. | aus der Sammlung Margarete Oppenheim

 

 

Die Verfolgungsgeschichte der Oppenheim-Kinder und der Tochter Charlotte wären ohne die Provenienzforschung nach NS-Raubgut und die intensive Recherche zur Biographie von Sammler*innen, die als Juden verfolgt wurden, weiter vergessen geblieben. Jede Restitution, jeder Ankauf und vor allem jede damit verbundene Forschung und die daraus gewonnenen Erkenntnisse erinnern an die NS-Verbrechen und bieten eine Chance gegen das Vergessen. In diesem Fall ergibt sich darüber hinaus eine wertvolle Gelegenheit an die bedeutenden Beiträge von Frauen zur privaten Sammlerkultur in Deutschland vor 1933 zu erinnern.