Hintergrund

GRASSIMESSE – preiswürdig

Die Grassimesse 2021 ist vorüber, doch es bleiben die kostbaren Eindrücke und Erwerbungen.

Und es bleiben die Preisträger, deren Werke in diesem Jahr von der Jury ausgezeichnet wurden. Sie haben mit diesen Anerkennungen nicht nur besondere Aufmerksamkeit und ein Preisgeld gewonnen. Mit der Reputation der Auszeichnungen und dem Ankauf von Arbeiten für die Sammlungen des GRASSI Museums für Angewandte Kunst lässt sich auch die Vita vortrefflich schmücken, ebenso wie das Museum sich über den Neuzugang herausragender Zeugnisse zeitgenössischer Objektkunst freuen kann.

Die neunköpfige Jury versammelte sich bereits im Frühsommer des Jahres um anhand von digitalen Bewerbungsdossiers und im gemeinsamen Austausch ca. 80 angewandte Künstler als Aussteller für die Grassimesse 2021 auszuwählen. Über die gestalterische und konzeptionelle Qualität der Bewerbungen hinaus spielen auch die Rücksicht auf die Ausgeglichenheit der Gewerke, die Ausgewogenheit von etablierten und neuen Positionen und das Ziel einer abwechslungsreichen und vielfältigen Messe in die zu fällenden Entscheidungen hinein. Darüber hinaus lädt das Museum u.a. Hochschulen, Workshop-Akteure und Gastländer ein, die mit ihren Präsentationen das Spektrum erweitern und letztlich mit zahlreichen Positionen die Auswahl bereichern. Erst am Morgen des Eröffnungstages fand sich die Jury wieder zusammen um nun, in der realen Gesamtpräsentation, ihre Entscheidungen zu überprüfen und aus der Vielzahl künstlerischer Ansätze die Preisträger zu bestimmen. Auch in diesem Jahr erfüllte sie ihre Aufgaben mit sicherem Gespür und einem absolut überzeugenden Ergebnis.

Rosi Steinbach Stand Renaissance Raum | Foto: Felix Bielmeier
Rosi Steinbach Stand Renaissance Raum | Foto: Felix Bielmeier

Der Leipziger Künstlerin Rosi Steinbach sprach sie den mit 3.000 Euro dotierten Grassipreis der Carl und Anneliese Goerdeler-Stiftung zu. Die Stifterfamilie ist, ebenso wie die Künstlerin, der Stadt zutiefst verbunden – schon dieser Aspekt lässt diese Entscheidung stimmig erscheinen. „Seit vielen Jahren arbeitet Rosi Steinbach mit Keramik und versteht es, die Plastik in besonderem Maße zu begreifen.

Rosi Steinbach, Johannes Kepler Portraitbüste Linz zum 450. Geburtstag
Rosi Steinbach, Johannes Kepler Portraitbüste Linz zum 450. Geburtstag | Foto R.Steinbach

Humorvoll und ernsthaft zugleich bestimmen ihre freimodellierten und subjektiven Porträtbüsten den Raum. Sie transportiert das traditionelle Genre der Büste in die aktuelle Zeit und lässt zeitgenössische Kunstwerke entstehen,“ heisst es in der Jurybegründung. Ihre glasierten Keramikbüsten, die stilistisch zwischen Klassizismus und Pop oszillieren, bilden eine Vielzahl bekannter Künstlerpersönlichkeiten wie Neo Rauch, David Schnell, Jonathan Meese u.a. ab, andererseits auch unbekannte, junge, moderne Zeitgenossen, deren Abbilder ein eigentümliches Charisma ausstrahlen. In ihrem jüngsten Auftragswerk, der Darstellung des Naturphilosophen und Theologen Johannes Kepler (1571 – 1630), erfindet sie einen nonchalanten Hipster im spanischen Kragen, keinen gestrigen sondern heutigen Typ dem bahnbrechende Entdeckungen und Erfindungen zu jeder Zeit zuzutrauen wären.

Paul Derrez Stand | Foto: Felix Bielmeier
Paul Derrez Stand | Foto: Felix Bielmeier

Mit Paul Derrez wurde ein ganz besonderer Repräsentant zeitgenössischer Schmuckkunst mit dem 2.000 Euro dotierte Grassipreis der Sparkasse Leipzig ausgezeichnet. „Als Pionier in der Verarbeitung von farbigem Acryl hat er zahlreiche Künstler und Künstlerinnen inspiriert. Die Intensität und Strahlkraft der klaren Farben zeugt von tiefer Lebensfreude, seine Arbeiten zeugen von enormer Präsenz.“ Der Schmuckkünstler Paul Derrez setzt seit 1975 maßgebliche Trends im Autorenschmuck – wenn nicht selbst als Schmuckautor dann gemeinsam mit seinem Lebensgefährten Willem Hoogstede in der Galerie Ra in Amsterdam, die er 1976 gründete und die bis zu ihrer Schießung 2019 eine der wichtigsten internationalen Plattformen und Drehkreuz für zeitgenössische Schmuckkünstler aus aller Welt war. Paul Derrez ist als Mensch wie als Schmuckkünstler ein begnadeter Netzwerker und Kommunikator – auch die Formen, Formate und Farben seiner Schmuckstücke symbolisieren Gemeinschaft, inspirieren Kommunikation und feiern das Leben.

Birgit Borstelmann Stand | Foto: Felix Bielmeier
Birgit Borstelmann Stand | Foto: Felix Bielmeier

Den mit 1.000 Euro dotierten Preis der Grassifreunde durfte die Hamburger Goldschmiedin Birgit Borstelmann entgegennehmen, die sich seit einigen Jahren ganz der Kreation skurriler Objektkunst widmet: „Ihre mechanischen Objekte überzeugen durch Originalität. Sie stellt wundersame kleine Maschinen aus ausrangierten Gebrauchsgegenständen und individuell angefertigten Mechaniken her.“ Inspiriert durch die vielfältigen mechanischen Spielobjekte zeitgenössischer englischer Automata Maker macht sich Birgit Borstelmann daran, einen ganz eigenwilligen Kosmos an unikaten Kreaturen und Fahrzeugen aus Fundstücken und ausgedienten Alltagsdingen zu erschaffen. Belebt durch raffinierte Kurbel- und Schubmechaniken folgen diese humorvoll assoziierten Assemblagen einem ganz eigenwillig anrührenden Narrativ.

Ricus Sebes Stand im Römischen Saal | Foto: Felix Bielmeier
GRASSIMESSE 2021 Ricus Sebes Stand im Römischen Saal | Foto: Felix Bielmeier

Der Keramiker Ricus Sebes erhielt die Auszeichnung des mit 1.000 Euro dotierten „Appoline-Preis“: „Mit großem handwerklichen Können widmet er sich der alten Technik der Kristallglasur. Er verfolgt den sehr zeitgemäßen Ansatz, eine alte Technik für sich zu entdecken, neu und hemmungsfrei zu interpretieren und mit der dann eigenen Arbeit zu überraschen.“ Zu wissen, dass Ricus Sebes eine erste Karriere als Marine- und Bergungstaucher hat, verführt zu der Vermutung, dass wohlmöglich geheimnisvolle Unterwasserwelten – Schätze zerborstener Schiffswracks in Felsenriffen – heimliche Inspiration seiner keramischen Kompositionen sind.

Ricus Sebes Detail der Aussstellung | Foto: S.vGwinner

Hier setzt er, technisch brillant realisiert, makellos gedrehte Form gegen die archaische Schroffheit der Materie. In einer glänzenden, nuancenreichen Purpurglasur blühen die Kristalle auf wie die Lichteffekte eines Feuerwerks, Kirschblüten, Quallen… . Ihre verblüffende, der Naturästhetik entlehnte Attraktion steigert sich im Kontrast zu rauen, kaum gezähmten Strukturen, die unsere Assoziationen zu Steilküsten und Felsformationen führen. „Beide Elemente sind Ausdruck eines Reifeprozesses, in dem die Zeit und die Elemente ihre Spuren hinterlassen.“ sagt Ricus Sebes über seine Inszenierungen, die naturgegebene Schönheitsideale in kontroversen Zitaten artifiziell übersteigern.

Hannah Kanneberg "Agregat" Rucksäcke | Foto: GRASSI Musuem für Angewandte Kunst
Hannah Kanneberg “Agregat” Rucksäcke | Foto: GRASSI Musuem für Angewandte Kunst

Zusätzlich wurde an der Burg Giebichenstein/ Kunsthochschule Halle der „GRASSI Nachwuchspreis der Firma culturtraeger verliehen. Er ging in diesem Jahr an Hannah Kannenberg für ihren Rucksack „Aggregat“ als ein Beispiel für die variablen Einsatzmöglichkeiten des Biokunststoffs PHB. Der modulare Aufbau des Rucksacks kombiniert polymorphe Strukturen und realisiert verschiedene Funktionen in einem Monomaterial. Das Konzept geht von einem Zukunftsszenario aus, in dem der Biokunststoff bereits ein integraler Bestandteil der industriellen Massenproduktion ist. Das Design berücksichtigt die Kreislaufwirtschaft durch die Verwendung von Rezyklaten bei der Herstellung und durch die einfache Reparierbarkeit des Rucksacks. Darüber hinaus werden die Verbraucher aktiv in den Recyclingprozess einbezogen und mit den Vorteilen der Wiederverwendung vertraut gemacht. Agregat ermöglicht es auch, das Produkt in Form, Farbe und Funktion individuell zu gestalten, so dass der Rucksack an die sich ändernden Bedürfnisse der Verbraucher angepasst werden kann.

>HIER geht es zur Homepage der GRASSIMESSE – die Ausschreibung zur GRASSIMESSE 2022 wird dort im Frühjahr erfolgen