Ausstellung

HISTORY IN FASHION – 1500 Jahre Stickerei in Mode

Die Tinte des gehaltvollen Vorwortes zum Katalog ist kaum getrocknet, als ich mich mit der Kuratorin Dr. Stefanie Seeberg treffe, um über das Konzept ihres jüngsten Projektes zu sprechen.

Am Mittwoch, den 20. November, wird die Sonderausstellung „HISTORY IN FASHION. 1500 Jahre Stickerei in Mode“ im GRASSI Museum für Angewandte Kunst Leipzig eröffnet. Sie wird unseren Blick wie durch ein Brennglas auf 150 Exponate und 1500 Jahre textile Kultur-, Technik-, ja Menschheitsgeschichte lenken. Die alles umfassende Klammer bietet die thematische Konzentration auf Mode und Kleidung, uns allen zutiefst vertraut. Von einem 1500 Jahre alten koptischen Medaillon wird der Besucher bis zum selbst leuchtenden LED-Kleid unserer Tage geleitet. Doch keineswegs chronologisch, das wäre zu banal gedacht.

Kuratorin Stefanie Seeberg und ein Damenrock mit Wollstickerei um 1700, Foto: S.v.Gwinner

Sechs Themenkreise identifizierte Stefanie Seeberg als ideale Übermittler spannender Geschichten, die sich aus der Raffinesse technischer Kreativität im Dienste sozialer Hierarchien, regionaler Gepflogenheiten, ästhetischer Vorlieben, individueller Ambitionen und des Zeitgeistes speisen. Stickereien sind nur aus ihrem Kontext interpretierbar. Man begegnet ihnen zu allen Zeiten mit äußerster Wertschätzung, denn sie bezeugen, zumindest bis zur Erfindung automatischer Stickmaschinen, die Hand- und Kunstfertigkeit ihrer Schöpfer/-innen. Auch die Genderfrage hält sich nicht an das vermutete Klischee: Sticker war über Jahrhunderte ein Männerberuf und bekam erst seit romantischer Zeit ernsthafte Konkurrenz durch den so genannten weiblichen Hausfleiß – als erbarmungslose Heimarbeit oft verwechselt mit der kreativen Beschäftigung wohl situierter Bürgerfrauen und Künstlerinnen.

Die Bandbreite der Verknüpfungen ist frappierend.

Detail Gesellschaftskleid um 1910, Foto S.v.Gwinner

Zum Beispiel zur spezifischen Sammlungsgeschichte: Die wesentlichen Grundlagen zur textilen Sammlung des Museums wurde vor gut 150 Jahren gelegt, als es darum ging, Musterbeispiele zusammen zu tragen, die technisch und gestalterisch vorbildlich waren. Nur im Ausnahmefall kamen ganze Garderoben aus Privatbesitz in den Fundus, stattdessen eine reiche Vielfalt an Fragmenten, die als Musterstücke inspirieren und sich als Ansatzpunkt für eine Weiterentwicklung anbieten.

Oder auch der Einfluss des Zeitgeschmacks auf den Umgang mit Artefakten: Noch vor wenigen Jahrzehnten herrschte allgemeiner Konsens, dass von der Zeit gezeichnete Exponate durch Restaurierung wieder in ihre ursprüngliche Pracht und Schönheit versetzt werden sollten, bevor man sie ausstellt. Inzwischen hätte man Skrupel, da sich die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass diese Objekte viele authentische Informationen zu ihrer Herkunft und Geschichte bewahren, die durch allzu eifrige Wiederherstellung zerstört würden. So werden die Artefakte unrestauriert gezeigt – ein großer Vorteil, der heute auch vom Publikum, durch die Vintage-Mode beeinflusst, erkannt wird.

Detail grüne Damenschürze um 1740-50, Foto: S.v.Gwinner

Stefanie Seeberg räumt ein, dass es eine Herausforderung gewesen sei, überwiegend mit Fragmenten zu arbeiten. Zumal gerade in letzter Zeit europaweit große Ausstellungen zu Schwerpunkten der Modegeschichte inszeniert wurden, in denen hinreißende Garderoben die Hauptrolle spielten.

Doch die Kuratorin weiß Funken aus ihrem Bestand zu schlagen. Ausstellung wie Katalog stellen die Details in den Mittelpunkt: Technik, Material, Effekte und Motive vereint mit den interessanten Geschichten ihrer Herkunft und Bedeutung. Dadurch werden viele Türen geöffnet, viele Wege gewiesen und ein Anfang in der Erforschung all dieser Schätze gemacht. Jedes einzelne Exponat lenkt die Aufmerksamkeit

Stiefel “Flora’s Present”, Italien, Deutschland 2017. Stickerei in Seide auf textile Oberfläche Foto: Karola Bauer

des Betrachters auf einen immer wieder überraschenden Kosmos technischer Besonderheiten, kreativer Überlegungen und kulturhistorischer Zusammenhänge. Die Bandbreite der Themen, die in dieser Ausstellung angerissen werden, scheint unerschöpflich und allumfassend – geradezu angeregt von der scheinbaren Unvollkommenheit vieler Exponate, die das Weiterdenken geradezu provozieren und die Vorstellungskraft animieren.

 

Konsequent verfolgt das Ausstellungskonzept also auch die Spur der Inspiration in die Zukunft. In Kooperation mit den Studierenden am Lehrstuhl für Textildesign der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle entstand ein grandioses „Follow up“, das Projekt  „Klee, Sensorik und ganz viel Stickerei“. Die Beschäftigung mit den historischen Stickereien war hier Kick-off zum Einsatz des textilkünstlerischen Mediums in der Auseinandersetzung mit aktuellen Themen. Darüber wird gesondert zu berichten sein.
Selbst die Besucher werden jeden Mittwoch-Nachmittag in der offenen Werkstatt mit Magdalena Sophie Orland ihre Eindrücke manuell oder maschinell stickend und nähend direkt umsetzen können.

Katalog zur Ausstellung: Zur Ausstellung liegt ein umfangreicher Katalog vor. Sandstein-Verlag, ca. 220 Seiten, ca. 250 Abb., deutsch/englisch, ca. 34 Euro

Laufzeit:21.11.2019 – 29.3.2020

Eröffnung der Ausstellung: Mi, 20.11., 19 Uhr

GRASSI Museum für Angewandte Kunst
Johannisplatz 5-11
04103 Leipzig