Hintergrund

Karoline Schliemanns Liebe zur Kunst auf Papier

Die Kunsthistorikerin Karoline Schliemann übernahm am 1. Juni 2021 das neue Amt der Kuratorin der Grafischen Sammlung im GRASSI Museum für Angewandte Kunst. Damit ist genug Zeit für sie verstrichen, um, ohne die anfängliche Euphorie doch offensichtlich glücklich, im Gespräch für diesen Beitrag auf die gestellten Aufgaben zu schauen. Die Dresdnerin entwickelte schon während ihres Studiums eine Vorliebe zu Kunst auf Papier, arbeitete zum Thema Holzschnitt und machte ihre ersten Berufserfahrungen während ihrer fünfjährigen Arbeit im Kupferstichkabinett am Kunstmuseum Basel, zuletzt als Assistenzkuratorin.

Heinrich Aldegrever, 2 Dolchscheiden mit einem Liebespaar und Rankenornamenten, 1532, Kupferstich, GRASSI Museum für Angewandte Kunst Leipzig, erworben 1924

Die Grafische Sammlung des GRASSI Museums für Angewandte Kunst spielte bisher, als Teil der Bibliothek, keine gesonderte, überregional wahrgenommene Rolle. Sie umfasst Ornamentstiche, gebrauchsgraphische Arbeiten, Kostümblätter, Architekturwerke, aber auch Zeichnungen, Skizzenbücher und eine photographische Sammlung. Hinzu kommen Bucheinbände, historische und künstlerische Bücher und Buchobjekte, frühfotografische Objekte wie Daguerreotypien und vieles mehr. Wertvolle Schenkungen und Sammlungsankäufe der letzten Jahre werten den ursprünglichen Bestand maßgeblich auf und sind Ausgangspunkt dafür, das zunehmend wertschätzende Engagement in diesem Bereich auch öffentlich zu machen.

Das erste Jahr war für Karoline Schliemann von den besonderen Aufgaben der Generalinventur des Museums bestimmt. Der physische Inventurprozess, d.h. Schachtel aufmachen, Evaluation, was drin ist, indem die Inventarnummer festgehalten oder ein Werk nachinventarisiert wird und anschließend die Rekatalogisierung in der Datenbank, erlaubte keine Tiefenerschließung oder gar ein kunsthistorisches Arbeiten. Immerhin konnte sie sich so einen Überblick über die Bestände verschaffen, von denen sie sich auch weiterhin die Entdeckung von Schätzen verspricht. Die Vorbereitung von Führungen und ähnlichen Formaten, wie z.B. zum druckgrafischen Werk Giovanni Battista Piranesis am Wochenende der Graphik im November 2021, erlaubten ihr die punktuelle Vertiefung.

Bertha Wehnert-Beckmann, Porträt Eduard Wehnert, um 1846, Daguerreotypie in Lederetui, GRASSI Museum für Angewandte Kunst Leipzig, Schenkung von Adolf Sander, Leipzig 1918

Nun, im zweiten Jahr als Kuratorin, steht Karoline Schliemann eine deutlich anspruchsvollere Aufgabe bevor, auf die sie sich sehr freut. Aktuell übernimmt das GRASSI Museum für Angewandte Kunst eine Schenkung von über 1000 illustrierten Büchern, die das Herzstück ihrer ersten Sonderausstellung im Haus bilden, die unter dem Titel „Geschrieben Gelesen Gestaltet. 150 Jahre Buchkunst“ am 27. April 2023 eröffnet werden soll. Dieses respektable Konvolut wurde mit dem Fokus auf die Illustrationen bereits vom Berliner Sammler Wieland Schütz gründlich recherchiert und publiziert.

Kern ihres Ausstellungskonzeptes, das von Thomas Möcker als Ausstellungsgestalter begleitet wird, ist ein historischer Streifzug, der die Schwerpunkte der Privatsammlung mit den Werken aus dem Bestand des Museums verbindet. Als großer Rundumschlag werden 150 Jahre Buchgestaltung, Illustration, Typographie und Einbandkunst, zu erleben sein. Beginnend mit dem alles überragenden Werk des durch den französischen Maler Eugène Delacroix geschaffenen Bildzyklus zu Goethes Faust, einem Klassiker der Buchillustration, über die Werke impressionistischer Künstler, den japanischen Holzschnitt bis zum Kern des Sammlung, der zeitgenössischen Buchkunst. Ein chronologisch ausgerichteter Dialog, der immer wieder an die Traditionsstränge in der Stadt anknüpft.

Johann Gregor Höroldt und Werkstatt, Musterzeichnung aus der Malstube der Porzellan-Manufaktur Meissen (Schulz-Codex), Blatt 4, um 1722-1726, Feder mit schwarzer Tusche und Pinsel mit Wasserfarbe, GRASSI Museum für Angewandte Kunst Leipzig, aus dem Nachlaß des Sammlers Georg Wilhelm Schulz, Leipzig, erworben 1960

Das Buch an sich erfordert als Gesamtkunstwerk eine intime Auseinandersetzung, um es in seiner ganzen Vielschichtigkeit zu erschließen. Wertvolle historische Bücher müssen aber aus konservatorischen Gründen in Vitrinen ausgestellt, das moderne Künstlerbuch – nicht zwingend gebunden – kann auch an die Wand gebracht werden. Digitale Medien wie auch Projektionen ermöglichen einen weiteren Erfahrungsraum für die Besucherinnen und Besucher. „Die Medialität der Bücher ist zu berücksichtigen,“ sagt Karoline Schliemann und ist sich bewusst, dass die Narration spürbar bleiben muss, das Storytelling soll die Besucherinnen und Besucher abholen. Die Kuratorin setzt auf ein umfangreiches, attraktives Begleitprogramm und konkrete Vermittlung, um die Besucherinnen und Besucher für ihr Thema zu begeistern.

Die junge Kuratorin kann von Anbeginn auf viel Unterstützung aus dem Haus zählen. Sogar der langjährige, inzwischen pensionierte Bibliotheksleiter Eberhard Patzig kommt ehrenamtlich einmal wöchentlich ins Haus und unterstützt sie mit seinem fundierten Fach- und Detailwissen. Dr. Olaf Thorman verwendete selbst viel Zeit auf die Erweiterung und Erschließung der Grafischen Sammlung. Seine wissenschaftliche Mitarbeiterin Miriam Heckhoff engagiert sich für die umfangreiche Plakatsammlung. Einmal mehr wird deutlich wie sehr der wunderbare Teamgeist im GRASSI Museum für Angewandte Kunst die Zusammenarbeit prägt.

Zum Abschluss frage ich noch nach einem Thema, das Karoline Schliemann wohlmöglich besonders reizt. Sie nennt mir die Ornamentstichsammlung, deren riesiger Kosmos ihrer Meinung nach eine Unzahl an Bezügen durch die Gestaltungsgeschichte bis heute ermöglicht und unzählige Anknüpfungspunkte in die benachbarten Sammlungsbereiche bietet. Auch der große fotografische Bestand fasziniert sie. Der nicht nur mit der Fotografie verbundene Aspekt, ob diese der Information oder der Kunst zuzuordnen sei. Sie freut sich über die Möglichkeiten, die sich hier eröffnen und hofft, die Besucherinnen und Besucher mit ihren Angeboten zu erreichen und mit ihnen ins Gespräch zu kommen.