Hintergrund

3. Internationaler Tag der Provenienzforschung 2021

Das Interesse für die Geschichte der Herkunft von Kunstwerken und Kulturgütern hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Sie wird als Teildisziplin der Geschichte beziehungsweise Kunstgeschichte verstanden und ist heute von brisanter politischer, gesellschafts- und kulturgeschichtlicher Bedeutung. Mit der umfassenden Klärung der Herkunft von kulturellen Artefakten aus Raubgrabungen und Kolonialbesitz, ebenso wie als NS Raubkunst der 1933er bis 1945er Jahre, aus Enteignungen zur sowjetischen Besatzungszeit, aus Schlossbergungen zu DDR- Zeiten und dem Kunsthandel, findet eine dringend notwendige Aufarbeitung des Umgangs mit Objektkultur im globalen Kontext unserer Geschichte statt.

Am Mittwoch, den 14. April 2021, findet bereits zum dritten Mal der Internationale Tag der Provenienzforschung statt. Circa 80 Kultureinrichtungen in Deutschland, Großbritannien, Österreich, der Schweiz und den USA haben ihre Teilnahme angemeldet. Durch die verschärften Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie sind aktuell zahlreiche Museen geschlossen, sodass der Tag der Provenienzforschung auch in diesem Jahr überwiegend nur online stattfinden kann. Informationen zu sämtlichen Aktionen aus diesem Anlaß finden sich auf der Webseite des Arbeitskreises Provenienzforschung e. V.

Der Arbeitskreis möchte mit diesem Aktionstag auf die gesellschaftliche und wissenschaftliche Relevanz seiner Arbeit aufmerksam machen und einem breiten Publikum Einblicke in die Methoden dieses Forschungsbereiches vermitteln.

Im GRASSI Museum für Angewandte Kunst widmet man der Provenienzforschung schon längst allergrößte Aufmerksamkeit. Diese wird durch eine fortlaufend geführte Chronik des Museums belegt, die alle Ein- und Ausgänge, Schenkungen, Neuerwerbungen und strukturellen Forschungen zum Inventar und zu Ausstellungen akribisch dokumentiert und für die nachfolgenden Generationen festhält – ein seltener Schatz, den nur wenige Museen so kontinuierlich gepflegt haben.

Die Kurator*innen des GRASSI Museums für Angewandte Kunst stellen hier zum Tag der Provenienzforschung einige bemerkenswerte Objekte und wichtige Projekte in diesem Kontext vor:

Mann mit Kohlebecken
Porzellan-Manufaktur Gera, um 1780
Porzellan, Aufglasurbemalung
Ankauf 1906. Seit 1945 vermisst. 2014 Rückkauf aus dem amerikanischen Kunsthandel.

Dr. Thomas Rudi, Kurator Historische Sammlungen, präsentiert einen „Mann mit Kohlebecken“ aus der Porzellan-Manufaktur Gera (um 1780), der im Jahr 1906 vom Museum angekauft wurde. Seit 1945 galt er als vermisst und kam erst 2014 als Rückkauf aus dem amerikanischen Kunsthandel zurück. „Die Figur wurde 1906 in Dresden vom Museum erworben. Im 2. Weltkrieg wurde die Figur mit zahlreichen anderen Objekten des Museums ausgelagert, wo sie aber entwendet wurde. Ein Sammler von Thüringer Porzellanen, der unsere Sammlung kennt und wusste, dass die Figur seit 1945 vermisst wird, entdeckte die Figur zufälligerweise (anhand der noch vorhandenen Inventarnummer auf der Unterseite) bei einem Antiquitätenhändler in New York im Jahr 2014. Das Museum konnte glücklicherweise die Figur käuflich erwerben.“

Er weist auch auf eine städtische Initiative hin, in der sich die Vertreter*innen aller Museen, Bibliotheken und Institutionen Leipzigs nun schon drei Mal zu Fachgesprächen trafen und auch in Zukunft gemeinsam die Stadt Leipzig betreffende Fragen zur Provenienzforschung erörtern werden.

Teller mit Darstellung zweier um eine Wunschperle streitende Drachen
Jingdezhen, China, Qing-Dynastie, 19. Jahrhundert
Porzellan, blauer Unterglasurdekor
Höhe 4,3 cm, Durchmesser 24,5 cm, Ankauf 1912.

Silvia Gaetti, Kuratorin Asiatische Sammlungen, macht auf einen Teller aufmerksam, dessen Provenienz noch nicht geklärt ist, von dem man aber weiß, dass es sich um kaiserliche Ware handeln könnte. Er zeigt ein imperiales Motiv, dokumentiert eine gute Qualität und trägt eine Sechszeichenmarke im Doppelkreis der Kangxi-Periode. Hier gibt es daher Gründe für den Verdacht, dass der Teller aus einer imperialen Sammlung stammen könnte und es stellt sich die Frage, wie er nach Deutschland kam?

Silvia Gaetti berichtet auch von einem jüngst gegründeten Verbund aus mehreren deutschen Museen, initiiert von Christine Howald, stellvertretende Direktorin und Provenienzforscherin Asiatische Sammlungen des Zentralarchivs an den Staatlichen Museen zu Berlin. Die involvierten Museen sind das Ethnologische Museum und das Museum für Asiatische Kunst Berlin, die Staatlichen Museen zu Berlin, das MARKK- Museum am Rothenbaum Hamburg, das Museum Angewandte Kunst in Frankfurt (Main), das Museum Fünf Kontinente München, das Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg, und das GRASSI Museum für Angewandte Kunst in Leipzig. Der Arbeitstitel des gemeinsamen Forschungsprojektes, das erstmal für zwei Jahre vom Zentrum für Kulturverluste genehmigt wurde, lautet: “Spuren des Boxerkrieges in deutschen Museumssammlungen – eine gemeinsame Annäherung”. Es soll hier um die systematische Erforschung und den Vergleich von chinesischen Objekten gehen, die Anfang des 20. Jahrhunderts ihren Weg in die deutschen Museen fanden. Mit chinesischen Museen und Institutionen, u. a. der Shanghai University, gab es bereits einen ersten Workshop im September 2020 (digital) zum Thema: „Building Bridges: First Chinese German Meeting on Provenance Research.“

deutsche oder italienische Ziervase aus Kalkstein, spätes 18. Jh. siehe Text

Für den Bereich Sowjetische Besatzungszone/DDR benennt Ronny Licht, wissenschaftlicher Volontär, eine deutsche oder italienische Ziervase aus dem späten 18. Jahrhundert. Die heute in der Piranesi-Galerie aufgestellte große kalksteinerne Vase mit Sockel und Deckel zeigt den Umgang mit antiker Formensprache und Ornamentik in klassizistischer Zeit. Sie stammt aus dem parkähnlichen Anwesen der Leipziger Verlegerfamilie Herfurth in Prödel bei Zöbigker, südlich von Leipzig, das 1975/76 dem Braunkohleabbau weichen musste. Im Zuge der Enteignung wechselte die Vase zwar den Eigentümer, verblieb jedoch wohl bis zur Zerstörung des Anwesens durch den Kohleabbau dort. „1945 wurde der Leipziger Verleger enteignet und zog nach dem Einmarsch der Roten Armee nach Marktredwitz, wo er am 21. Mai 1950 verstarb. Sein Grab befindet sich auf dem Südfriedhof in Leipzig.“ (Wikipedia). „Die Vase wurde vom Kulturamt nach der Verbringung aus Prödel auf dem Gelände des Grassimuseums gelagert, ohne aber unserem Museum übergeben zu werden. Erst nach der juristischen Restitution und Einigung mit den Erben gelangte sie in den Bestand des Museums für Angewandte Kunst.“

Ronny Licht verweist noch auf die “Lost Art”- Da­ten­bank, die vom Deut­schen Zen­trum Kul­tur­gut­ver­lus­te in Magdeburg be­trie­ben wird. Sie er­fasst Kul­tur­gü­ter, die in­fol­ge der na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Ge­walt­herr­schaft und der Er­eig­nis­se des Zwei­ten Welt­kriegs ver­bracht, ver­la­gert oder – ins­be­son­de­re ih­ren jü­di­schen Ei­gen­tü­mern – als umgangssprachlich “Beutekunst” ver­fol­gungs­be­dingt ent­zo­gen wur­den.

screenshot “Lost Art” Datenbank

Insgesamt hat das Grassi Museum für Angewandte Kunst bisher 473 Datensätze eingepflegt. Dass Einpflegen eines Mindestkontingentes an Datensätzen bei “Lost Art” soll in Zukunft zur verbindlichen Teilaufgabe der wissenschaftlichen Volontär*innen am GRASSI Museum für Angewandte Kunst werden. Diese direkte Auseinandersetzung mit dem Thema Provenienzforschung im Allgemeinen, sowie mit dem Wissen zur Geschichte des Hauses und der jeweiligen Provenienzen bzw. Entzugsvorgängen ist von großem Vorteil, da sie die Relevanz dieser historischen Vorgänge für unseren aktuellen politischen und gesellschaftlichen Umgang mit Kulturgütern verdeutlicht. Provenienzforschung ist ein nie endgültig abzuschliessender Vorgang, es gibt immer wieder neues Wissen und veränderte Perspektiven. Provenienzforschung ist kein verzichtbarer Luxus, sondern unabdingbares Element der Objekt- und Sammlungsgeschichte.

Weiter Details und ausführlichere Informationen zur Provenienzforschung im GRASSI Museum für Angewandte Kunst finden Sie unter diesem Link: https://www.grassimak.de/museum/sammlung/provenienz