Hintergrund

Alle Jahre wieder

Alle Jahre wieder bekommen die Mitglieder des Freundeskreises des Grassimuseums für Angewandte Kunst einen Brief von ihrem Vorstand, der sie freundlich auffordert einen Obolus zum Ankaufsbudget des Museums für die Grassimesse beizutragen.

Alle Jahre wieder folgen viele Mitglieder mit bemerkenswerter Großzügigkeit diesem Aufruf und freuen sich gespannt auf das Ergebnis.

Alle Jahre wieder stellt Sabine Epple, Kuratorin Moderne Sammlungen und Projektleiterin der Grassimesse, die Neuerwerbungen im Rahmen eines sogenannten „Grassifrühstücks“ anfang Dezember vor.

Alle Jahre wieder ist dies ein ganz besonderes Ereignis, in dem sich die Verbundenheit des Freundeskreises mit dem Museum und das aufmerksame Interesse seiner Mitglieder am Geschehen dort widerspiegelt.

Nun war es wieder soweit und ein großer Kreis von Freunden versammelte sich neugierig um Sabine Epple und den großen Gabentisch, auf dem die aktuellen Ankäufe zu bestaunen waren. Ihre Ausführungen zu den einzelnen Objekten gehen auf die Autorenschaft und gestalterische wie technische Besonderheiten ein, erklären aber auch die Überlegungen des Museums, die einem Erwerb zu Grunde liegen. Das ist immer sehr spannend.

Es werden grundsätzlich Stücke der ausgezeichneten Preisträger für die Sammlung angekauft. Für manche Objekte engagieren sich dann noch Einzelpersonen als Sponsoren, die die gesamte Finanzierung für ein Werk übernehmen. In diesem Jahr für eine wundervolle Kupferschale des aktuellen Freundeskreis-Preisträgers Laurenz Stockner aus Brixen/Südtirol und für eine Leuchte der halben SMOW-Preisträgerin Annabella Hevesi/ Line and Round aus Budapest/Ungarn. Auch der Erwerb eines fantasievollen Stroh-Haarschmucks von Christiane Englsberger, die eine traditionelle Schweizer Gestaltungstechnik wiederbelebt, wurde mit einem generösen Extra angekauft. Für genau solche Arbeiten erhielt die Künstlerin 2023 übrigens einen Ehrenpreis der bayerischen Danner-Stiftung. Der Apolline Preisträger Ivan Baj/ Bozen/ Südtirol zeigte sich darüber hinaus sehr entgegenkommend, um dem Museum den Erwerb einer seiner großartigen Glasarbeiten zu ermöglichen.

Von der Preisträgerin der Carl und Anneliese Goerdeler-Stiftung, der Künstlerin Jiun-You Ou kaufte das Museum einen Ansteckschmuck aus Tuschestein. Als Kind wurde die Taiwaneserin von ihren Eltern in den Kalligrafie-Unterricht geschickt, was ihr große Freude bereitete. Die Faszination ging allerdings zunehmend von dem Tuschestein aus. In Taiwan bildete sie sich seit 2008 autodidaktisch zur Schmuckdesignerin und arbeitete in dem Bereich, bevor sie ab 2015 am Campus Edelstein und Schmuck Idar-Oberstein der Hochschule Trier, berühmt für die Ausbildung in der Verarbeitung von Steinen, studierte. Für ihre streng minimalistisch komponierten, zeichenhaften Broschen wurde ihr bereits im vergangenen Jahr 2022 der Förderpreis der JBG in Hamburg zuerkannt.

Auf dem Gabentisch in Leipzig führte die Tintenstein-Brosche einen überraschenden Dialog mit einer Brosche aus macrofol®, einem Polycarbonat, das zu Folien verarbeitet wird, von Svenja John. Farbig gefasst und spielerisch technisch in ihrer Anmutung öffnet diese einen ganz anderen Assoziationsraum als der Tintensteinschmuck. Die Unterschiedlichkeit der Herangehensweisen an das Thema Schmuck werden hier überdeutlich. Aus der Kollektion von Svenja John besitzt das Museum bereits frühere Stücke, die sehr viel komplexer aufgebaut sind als das aktuelle Werk, das eine mehr graphische Anmutung zeigt. Sabine Epple betont, wie bereichernd die Dokumentation unterschiedlicher künstlerischer Werkphasen für eine Sammlung ist.

Dieses Argument begründet auch den Erwerb eines tiefroten Kunststoffcolliers der niederländischen Schmuckkünstlerin Ela Bauer. Von ihr befindet sich auch eine frühere Arbeit, ein Siliconherz aus der Jahrtausendwende, im Museum, das sogar schon den Leipziger Oberbürgermeister geschmückt hat.

In diesem Jahr triumphierte der Werkstoff Glas bei den Neuerwerbungen, der auf dieser Grassimesse 2023 vielfältig vertreten war. Von Ivan Baj, dem Mitbegründer der Marke „Arcade“ (1989) und Glasgestalter mit internationaler Reputation, war schon die Rede. In Gemeinschaft mit den Glasmeistern Andrea Zilio und Simone Cenedese in Murano schuf er nun grandiose Unikate zu seinem persönlichen Projekt „Voyages“, das von seinen Reisen und Begegnungen mit Orten und Menschen inspiriert wurde. Eines davon hat sein Reiseziel im Leipziger Museum erreicht.

Der junge Künstler Andreas Rier, dessen erster Beruf Koch ist, zeigte, jetzt als Absolvent des Masterstudienganges im Fachbereich Glas/Keramik an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein, auf der Grassimesse Stücke aus seiner Objektreihe „critical points“ vom März 2023. Die – verlorene – Holzform für das angekaufte Werk wurde aus gebündelten Hölzern gefertigt, in Klarglas ausgeblasen und nach dem Erkalten gesandstrahlt. Es dokumentiert eindrücklich die Gratwanderung zwischen fest und flüssig, zerbrochen und verschmolzen – eben den „critical point“.

Die extreme Verteuerung der Energiepreise führte den erfahrenen Glasgestalter Cornelius Réer aus Nürnberg dazu, neue Gestaltungstechniken zu erproben und einzuführen, für die er mit der Hälfte des SMOW-Preises geehrt wurde. Die Gläser seiner neuen Serie werden in eine Stahlform geblasen, sodass sich durch den Kälteschock eine wellige Struktur, ein feines Krakelée-Netz, auf der Oberfläche der Glaskörper bildet. Die Achsensymmetrie, wie sie beim Einsatz von Holzformen verbindlich ist, kann auch ausser Acht gelassen werden. Cornelius Réer verschiebt also die Glaszylinder mittig und schafft damit eine interessante Form, die sich als Glasbecher auch stabil stapeln lässt. Nach dem Erkalten werden die Glaskörper auf die gewünschte Höhe gesägt und geschliffen. Durch die Trennung der Arbeitszeit in Ofenphasen und Kaltbearbeitungsphasen wird die Produktion in der Werkstatt nicht beschleunigt, aber sehr viel energieeffizienter. Das Museum erwarb sechs farbige Trinkgläser und zwei unterschiedliche Vasen für die Sammlung. Die Vasen stehen exemplarisch für die Extreme der Gestaltungsmöglichkeiten, stabil und dickwandig die eine, in der seltenen, kapriziösen Farbe Kupferrubinrot. Die andere von leichter Zartheit, als Zylinder marginal schief aus der Achse geschoben.

Mit dem Grassipreis der Leipziger Sparkasse wurden die Keramiken der Künstlerin Nora Arrieta ausgezeichnet. Humorvoll und gewagt überträgt sie opulente Üppigkeit, wie sie z.B. in den „Schaugerichten“ der Barockzeit üblich war, in die Moderne. Wie auch damals üblich, erzählt Nora Arrieta ganze Geschichten mit ihren überraschend fantasievollen Hybriden zwischen Skulptur und Nützlichkeit. Sie zitiert – augenzwinkernd – aktuelle Trends und Moden und lässt absichtsvoll Gesellschaftskritik mitschwingen. Für die Sammlung wurden zwei Objekte erworben, ein prächtiger Präsentierteller mit vielen kleinen Sneakers im goldenen Strahlenkranz sowie eine dreiteilige, wehrhafte Dose, von grimmigen Hundeköpfen, Spikes und Stacheln sowie einem, sich auf dem Deckel räkelnden Punk bewacht. Ein nachdenklich stimmender stilistischer Anachronismus!

Auch die großformatigen „Hohl-Körper“, aus MDF und Spanplatten, des Jan Willems-Preisträgers Christoph Leuner aus Garmisch-Partenkirchen kommen optisch und haptisch wehrhaft daher. Normalerweise gering geschätztem Material verhilft er in seinen neuen Holzobjekten zum spektakulären Auftritt. Die aktuelle Neuerwerbung wird in der Sammlung auf ein monumentales Vorgängerstück treffen, das 2019 erworben wurde, als Christoph Leuner damals den Preis der Sparkasse Leipzig zugesprochen bekam – was in der Summe auf einen erfindungsreichen, stetig erfolgreich suchenden Holzkünstler schliessen lässt.

Der Weber Andreas Möller, vom Anbeginn in den neunziger Jahren beständiger Aussteller der Grassimesse, deren jährlich wechselnde Jury er immer wieder von seinem Werk überzeugen konnte, wird auf dem Gabentisch 2023 durch eine markantes Plaid vertreten. In Frühlingsgrün-schwarzer Graphik kommt es als Mitglied der mit Designpreisen ausgezeichneten „Purk“ Familie daher, deren festes und flexibles Gewebe wirklich Legende geworden ist. Genauso wie fast alle Entwürfe handgewebter Schals, Decken und Heimtextilien, die Andreas Möller aus Naturfasern auf dem von ihm entwickelten, innovativen FLYING8 Webstühlen webt.

Schliesslich noch das Wandobjekt „Yellow Submarine“ von Birgit Borstelmann, der Spezialistin für mechanische Objekte und fantasievolle Spielereien aus Hamburg. Etliche ihrer Objekte aus früheren Jahren befinden sich bereits in der Sammlung des Museums als kurzweilige Chronologie dessen, was man alles aus Schrott, ausrangierten Gerätschaften und viel Humor machen kann. Doch das „Yellow Submarine“ wird nicht im Dunkel des Depots verschwinden versichert Sabine Epple: „es kommt an die Wand im demnächst neu gestalteten Foyer“ … doch das wird wieder eine andere Geschichte.

Es ist ein offenes Geheimnis, dass die offiziell zur Verfügung stehenden Ankaufsbudgets, nicht nur des Grassimuseums, niemals ausreichen, um der expliziten Aufgabe nachzukommen, die Sammlungen des Hauses nicht nur zu bewahren und zu vermitteln, sondern auch in sinnvoller Weise um wichtige, historisch bedeutende oder zeitgenössisch relevante Artefakte zu ergänzen. Hier sind alle Museen auf die wohlwollende Unterstützung von Stiftungen und privaten Mäzenen angewiesen. Die Freundeskreise der Museen, wie auch unser Beispiel zeigt, spielen in diesem Zusammenhang eine große Rolle. Doch es geht nicht nur um Geld.

Auch Zeit und Knowhow ist willkommen, z.B. zur Unterstützung von Archivarbeiten oder in der tatkräftigen Assistenz zu besonderen Ereignissen im Museumsjahr, z.B. das Einspringen als Standbetreuung zur Grassimesse. Die Mitglieder des Freundeskreises des Grassimuseums zeigen sich hier besonders engagiert und hilfsbereit. Um sich dann umso lieber bei gemeinsamen Unternehmungen anlässlich der Grassifrühstücke, der Werkschauen, innerhalb der Arbeitskreise und anlässlich von Exkursionen zu treffen und auszutauschen. Und, alle Jahre wieder, auf ihren Gabentisch für das Grassimuseum zu schauen, ihn zu diskutieren und sich darüber zu freuen.

Mitglied im Freundeskreis des Grassimuseums für Angewandte Kunst zu werden ist > sehr einfach und macht viel Freude!

Alle Fotos: Schnuppe von Gwinner