Hintergrund

Auf eine Schokolade mit Clemens August

Detail Leinwandtapete mit Chinoiserien; Bayern um 1750 – übernommen 1948 aus dem Gutshaus Zehmen bei Leipzig | Foto S.v.Gwinner

Die Ständige Sammlung Antike bis Historismus des GRASSI Museums für Angewandte Kunst ist legendär. Ihre Exponate und deren Inszenierung sind immer wieder für Überraschungen gut. Ab einem bestimmten Zeitpunkt folgt der Besucher in der Ausstellung der feinen Klangspur einer zarten Melodie, die ihn schließlich in das magische Dunkel eines „chinesischen Kabinetts“ führt. Hier, in das Zeitalter des Rokokos, in die Mitte des 18. Jahrhunderts versetzt, strahlen erlesene Schätze, die unter dem Einfluss der damaligen Chinamode entstanden sind. Die ebenso lehrreiche wie unterhaltsame Führung des Kurators Dr. Thomas Rudi erweckt die Geschichten rund um all diese bezaubernden Artefakte zum Leben.

Chinesisches Kabinett im GRASSI MAK Leipzig | Foto S.v.Gwinner

 Der Raum ist mit einer auf Leinwand gemalten Tapete im chinoisen Stil ausgekleidet, die aus dem ehemaligen Rittergut Zehmen südlich von Leipzig stammt. Ihre Motive und Szenen wurden durch Chinoiserien auf Vorlagenblättern und insbesondere von Illustrationen in Reiseberichten beeinflusst. Diese, sowie die aus dem Reich der Mitte eingeführten Luxusgüter, vermittelten in Europa den Eindruck, China sei ein irdisches Paradies. Also versuchte man dieses nachzuahmen.

Die Meissener Porzellanmanufaktur spielte hier eine herausragende Rolle, getragen durch die geniale Meisterschaft des Porzellanmalers Johann Gregorius Höroldt. Am Anfang seines Wirkens, von 1722 bis 1726, entstand eine Sammlung von Musterblättern: der so genannte „Schulz-Codex“. Das Original ist heute im GRASSI Museum für Angewandte Kunst. Als Meissener Musterbuch für Höroldt-Chinoiserien diente es den circa 40 Mitarbeitern der Malstube der Meissener Porzellanmanufaktur als Vorlage. Damit wurde sichergestellt, dass die Porzellane mit so genannter Höroldt-Malerei sich trotz der vielen unterschiedlichen Hände in ihrer Qualität kaum unterschieden. Mit extrem dünnen Pinseln aus den Schwanzhaaren des sibirischen Eichhörnchens wurden die chinesischen Szenen auch in Camaïeu-Malerei ausgeführt, einer monochromen Maltechnik.

Frühe Porzellane der KPM Meissen mit Chinoiserien in Höroldt-Stil | | Foto S.v.Gwinner

Im Jahr 2015 überließen die Sammler Diethard und Regina Lübke dem Museum 330 Teile Meissener Porzellane aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Tee- und Kaffeeservices, Schokoladenkannen, Schalen, Teller und Becher, darunter viele die eindeutig den Vorlagen des „Schulz-Codex“ zuzuordnen sind. Dieser Umstand faszinierte das Sammlerpaar ganz besonders.

So kann man heute in der Vitrine des „chinesischen Kabinetts“ auch Objekte eines ursprünglich 84 Teile umfassenden Services bewundern, das sich Clemens August von Bayern, Kurfürst und Erzbischof von Köln, im Jahr 1735 zu seinem 35. Geburtstag in Meissen bestellte. Nach seinem Tode wurde es in alle Welt zerstreut und taucht nur hin und wieder als teuerste Kostbarkeit im Kunsthandel auf. Man erkennt es an der extrem aufwendigen Malerei, den üppigen Goldbordüren und den Chinesen, die mit den Initialen von Clemens August spielen. Derart feine Porzellane blieben zu dieser Zeit der Aristokratie vorbehalten. Dass die Gefäße uns so klein erscheinen, erklärt sich durch die Tatsache, dass Genussmittel wie Tee, Kaffee und Kakao zur damaligen Zeit den puren Luxus darstellten und nur in kleinen Mengen genossen wurden.

Reiseservice mit vier Doppelhenkelbechern und vier Unterschalen, KPM Meißen, um 1728 | Foto S.v.Gwinner

Eine weitere Sensation der Sammlung Lübke ist ein um 1728 gefertigter, ledergeprägter Koffer, der maßgefertigt ein Porzellan-Reiseservice mit goldenen Chinoiserien Augsburger Hausmaler enthält. Diese Hausmaler waren selbstständig und hoch spezialisiert, in Augsburg hauptsächlich auf Goldmalerei. „Das Porzellan wurde damals in Messen gefertigt, nach Augsburg zum Bemalen gesandt und dann wieder zurück transportiert.“, so Dr. Rudi während seiner Führung. Bedenke man die oft beschwerliche und unbequeme Reise per Pferdekutsche, ist der exzellente Zustand des Service umso bemerkenswerter. Das gelte im übrigen für die gesamte Sammlung. „Bis auf ein paar kleinere aber restaurierte Schäden sind die Exponate in nahezu perfektem Zustand“, freut sich der Kurator der Historischen Sammlung.

In der Sammlung des GRASSI Museums für Angewandte Kunst gibt es auch japanische Teller und Meissener Teller, an denen sich gut studieren lässt, wie akribisch man sich in Meissen an das Original gehalten hat. Diesen Einfluss der japanischen Kakiemon- und Imari-Dekore, die als sehr sparsame, asymmetrische Kompositionen dem Stilempfinden der Europäer sehr nahe kamen, sind in einer weiteren Vitrine des „chinesischen Kabinetts“ zu bewundern.

KPM Meissen Porzellan mit Höroldt-Malerei – Unterseite mit Signatur und Inventarnummer | Foto: S.v.Gwinner

Dann lädt Dr. Rudi dazu ein – mit weißen Handschuhen – selbst solch ein kostbares „Koppchen“ in die Hand zu nehmen, um es zu begreifen, seine Leichtigkeit und dünnwandige Perfektion zu spüren und die feine Bemalung aus nächster Nähe zu betrachten. Was geht einem da alles durch den Kopf? Ehrfurcht vor dem respekteinflößenden Zeitraum von 300 Jahren, den dieses Kleinod als kultureller Botschafter seiner Zeit überlebt hat? Bewunderung für die nahezu unfassbare Geschicklichkeit und Virtuosität des Porzellanmalers, dessen kleine, schwungvoll gesetzte Pinselstriche uns heute so genial erscheinen? Staunen über dieses kleine Ding, das uns die hingebungsvolle Wertschätzung seiner Schöpfer und Nutzer bezeugt?

Schließlich unternehmen wir gemeinsam noch den direkten Vergleich einer chinesischen Fischhändlerszene aus dem „Schulz-Codex“ mit der auf einem prächtigen, um 1723 entstandenen Walzenkrug. Diese detailreiche Darstellung schreiben die Fachleute wirklich der Hand des Meisters Johann Gregorius Höroldt zu, der die glitschigen Fische zur Freude der Umstehenden aus dem Gefäß des Fischers in eine Schale springen lässt. Im Gehen begleitet uns noch für eine Weile die kleine Melodie während wir, inspiriert vom Schokolade trinkenden Clemens August, ins Café im Grassimuseum spazieren.