Am 1. August 2017 übernahm die Kunsthistorikerin Dr. Stefanie Seeberg ihr Amt als Kuratorin der Textilsammlungen im GRASSI Museum für Angewandte Kunst in Leipzig. In einem ausführlichen Gespräch ließ sie sich nach dem Woher und Wohin befragen.
2014 erschien ein Schlüsselwerk für die Karriere der Kunsthistorikerin, die als Dozentin für allgemeine Kunstgeschichte und Mittelalter bis dahin am kunsthistorischen Institut der Universität zu Köln wirkte. Stefanie Seeberg veröffentlichte ihre Habilitationsschrift, ein über 300 Seiten starkes Buch mit dem Titel „Textile Bildwerke im Kirchenraum. Leinenstickereien im Kontext mittelalterlicher Raumausstattungen“. Hier kreisen ihre Ausführungen um weiße Leinendecken aus dem ehemaligen Prämonstratenserinnenkloster Altenberg an der Lahn, die erst bei genauerem Hinsehen ihre reichen, durch unterschiedliche Stickmuster erzeugten Dekore zu erkennen geben. Als Ergebnis eines zehnjährigen Forschungsprojektes, in dem Dr. Seeberg das Material und ihr Thema kunsthistorisch forschend betrachtete, erschloss sie vielfältige Anknüpfungspunkte zum Kontext dieser Textilien und konnte so ihre detaillierte Geschichte erzählen und diese 2016 in einer Ausstellung im Städelmuseum in Frankfurt einem breiteren Publikum vermitteln.
Seit Beginn dieses Forschungsprojektes 2005 erfüllt sie eine Mission für Textilien. Sie möchte in der Gesellschaft dafür werben, dass es sich lohnt, textile Artefakte aller Zeiten und Kontinente als historisch, technisch, gestalterisch und sozial bedeutsame Dokumente zu bewahren, zu zeigen und zu vermitteln. Sie sieht eine große Herausforderung in der Aufgabe, den Menschen das Verständnis dafür nahe zu bringen, diese Objekte zu erhalten und ihre kulturelle Bedeutung zu erfassen.
Nun, als Kuratorin der Leipziger Textilsammlungen, die mit viel Platz in den Magazinen und einer großzügigen – aber unbesetzten – Restauratorenwerkstatt gut ausgestattet ist, kommen weitere Aspekte dazu. Ihre Vorgängerin Babette Küster publizierte einen Katalog über die außereuropäischen Gewebe und machte damit einen ersten Bestandsblock für die Forschung und die Öffentlichkeit zugänglich. Die umfangreiche weitere Sammlung von mehreren tausend Objekten kann man sich aktuell über den elektronischen Katalog, Dokumentationen und Karteikarten erschließen. Fotos gibt es nur von wenigen Objekten.
Gemeinsam mit den beiden Fotografinnen des Hauses ist sie zurzeit damit beschäftigt die großformatigen Textilien, vor allem Wandbehänge des 20.Jahrhunderts, zu fotografieren. Dr. Stefanie Seeberg beschreibt, wie unermesslich viel Zeit noch notwendig sein wird, um diese umfangreiche und sehr vielseitige Textilsammlung zu erfassen und zu erforschen, die seit dem 19. Jahrhundert ursprünglich als Mustersammlung konzipiert und aufgebaut wurde. Für die vielen sehr unterschiedlichen Objekte aus verschiedenen Zeiten und Kulturen, von großformatigen Teppichen, Wandbehängen und Kostümen bis hin zu vielen kleinen Mustern und Textilfragmenten sind analytische, kunsthistorische Forschung und textiltechnische Untersuchungen notwendig. Das Material für viele potentielle Forschungs- und Doktorarbeiten schlummert in den Textil-Magazinen des GRASSI Museums für Angewandte Kunst. Ihre guten und vielseitigen Kontakte in die Hochschulen werden Stefanie Seeberg hier hoffentlich nützlich sein, um zeitgemäße Fragen an die Artefakte dieser einzigartigen Sammlung stellen und beantworten zu können. Um die Textilien auch für die Zukunft zu bewahren und sie der Öffentlichkeit in Ausstellungen zeigen zu können, aber auch für die Untersuchung ihrer technischen und materiellen Beschaffenheit, ist neben der Arbeit der Kunsthistoriker aber auch die Arbeit von Textilrestauratoren unerlässlich. Hier hat sich viel Nachholbedarf angestaut, nachdem die Stelle der Textilrestauratorin seit gut zehn Jahren unbesetzt ist. Nur das Allernötigste kann derzeit durch die stundenweise ans Haus kommende externe Restauratorin Andrea Knüpfer aufgefangen werden.
Schon während des ersten halben Jahres ihrer Verantwortung entwickelte Dr. Seeberg das brandaktuelle Thema für eine große Textilausstellung im GRASSI Museum für Angewandte Kunst im Herbst 2019: „HISTORY IN FASHION – 1500 Jahre Stickerei in Mode“. An ausgewählten Beispielen der eigenen Sammlung soll die immer wiederkehrende Bedeutung der Stickerei in der Mode illustriert werden. Faszinierende Arbeiten aus koptischer Zeit und dem Mittelalter markieren den Anfang. Über die opulenten Stickereien des Barock und Arbeiten des 19. und 20. Jahrhunderts führt die Modegeschichte bis zu den Stickereien heutiger Zeit, die sich letztlich ihre Inspirationen wieder aus den Vorbildern der Modegeschichte holen. Bis es soweit ist, wird Dr. Stefanie Seeberg die Zeit nutzen, noch viele Schätze der Leipziger Textilsammlungen zu bergen um uns ihre Geschichten erzählen zu können.