Ausstellung

Carl Bens – Expeditionen im Augenblick

Der Künstler Carl Bens ist Meisterschüler von Prof. Christine Triebsch an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle, wo er seit 2011 in der Fachklasse Bild/Raum/Objekt/Glas studierte. In der Ständigen Ausstellung des GRASSI Museums für Angewandte Kunst eröffnet er nun mit seiner Meisterschülerpräsentation „Expeditionen im Augenblick“ vom 05.02. bis 01.03.2020 neue Perspektiven – auch auf die Sammlung.
Ich besuchte ihn vorab im Atelier der Hochschule in Halle (Saale).

Sein favorisiertes Material Glas schätzt Carl Bens insbesondere wegen seiner vielfältigen Erscheinungsformen, die der Laie diesem – ohne es erforscht zu haben – häufig gar nicht zuschreiben würde. Gerade aus der Sicht des Bildhauers ergeben sich spannende und sehr unterschiedliche Ansatzpunkte aus dem prozesshaften Umgang mit Glas, die zu bemerkenswerten künstlerischen Positionen führen. „Der Blick auf meinen persönlichen Naturbegriff, gepaart mit dem Material erschließt Möglichkeiten, die das Suchen und Finden, die Expedition, als Fundstück daraus entstehen und sich in das Material Glas übertragen lassen.“ beschreibt Carl Bens sein Vorgehen, das sich im wesentlichen zwei Themenfeldern widmet.

Carl Bens:  beerenfarbene Bären aus Glas (Ateliersituation), Foto: Schnuppe von Gwinner

Zum einen der Figur, die ihm als klassisch ausgebildetem Bildhauer besonders nahe steht. Hier modelliert er in konventioneller Methode plastische Tonfiguren, aus denen dann seine Bildhauerformen entstehen. Mit diesen fährt er in die Glashütte um dort mit versierten Glasmachern zusammen zu arbeiten. Allerdings funktioniert es hier nicht, mit der Glasmacherpfeife zu Werk zu gehen, da diese ja einen rotationssymmetrischen Prozess erfordert. Für seine Figuren wird das heiß geschmolzene, flüssige Glas im hohem Tempo verarbeitet. Es wird in der vorbereiteten Form aufgefangen. Durch das Verschließen dieser Form bringt man Druck auf das Glas, sodass unterschiedliche Wandstärken und damit unterschiedliche Transparenzen des Glases entstehen. Man kann durch die Figur hindurch schauen, die Figur selbst als Raum für sich begreifen, sie den umgebenden Raum vereinnahmen oder sich von diesem abgrenzen lassen. Jeder Positionswechsel des Betrachters bewirkt eine veränderte Sichtachse, in der die Räumlichkeit immer auf neue und besondere Weise begriffen werden kann. Hinzu kommt die Farbigkeit einer Figur, die zu ihr gehört und gezielt eingesetzt werden kann. Es gibt kaum leuchtendere Farben als Glasfarben, die erst durch Licht, als weiteres – ephemeres – Gestaltungselement, zum Leben erweckt werden.

Carl Bens – Material-Studien aus verschmolzenem Glas – Ateliersituation – Foto: Schnuppe von Gwinner

Zum anderen die unerschöpflich erscheinenden Materialuntersuchungen, denen Carl Bens, der unbedingt von der Faszination für das Sinnliche seines Materials getrieben wird, eine bildhauerische Form geben möchte. Unterschiedliche, oft nur minimale, technische Modifizierungen des Schmelzvorgangs führen zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen, visuellen wie haptischen Attraktionen die niemals das Ende, sondern meistens der Auftakt zu einer weiteren, neuen, variierten Expedition sind. Große Platten aus verschmolzenem Flaschenglas in Grün, Braun und Blau suggerieren eine geradezu edelsteinartige Anmutung. Die Scherben werden in Formen geschichtet und bei einer sehr hohen Gradzahl gehalten damit sich eine Art Kristallwachstum entwickelt, das einem natürlichen Prozess nahe kommt. Die Illusion der Kostbarkeit ist perfekt.

Carl Bens: Erkundungen in Pate de Verre-Technik (Ateliersituation), Foto: Schnuppe von Gwinner

Oder, seine jüngsten Erkundungen in der „Pate de Verre“-Technik, bei der farbige Glaspulver in sehr niedrigen Temperaturen verschmolzen werden. Gerade diese prozesshafte Arbeit verdeutlicht das Vorgehen des Künstlers Carl Bens: „… sich aus dem Arbeiten heraus Materialitäten zu erschließen und diese dann wieder in eine Räumlichkeit bringen.“

Carl Bens ist schon seit über einem Jahr im Gespräch mit den Verantwortlichen des GRASSI Museums für Angewandte Kunst. Ursprünglich verfolgte er die Idee einer solitären Präsentation seiner Werke. Direktor Dr. Thormann brachte den Gedanken der Intervention in die Dauerausstellung ins Spiel. „Das war für mich eine völlig neue Herangehensweise,“ gibt Carl Bens zu, „denn damit kontextualisiert sich alles. Man kann zwar auch bildhaft arbeiten indem man auf die Inszenierungen der Räume aufbaut, doch es ist ein völlig anderes Arbeiten als im ‘white cube’. Eine sehr spannende Herausforderung, auch in ihrem Umfang und in der Abfolge vieler, vieler Räume für deren Rundgang ich eine eigene Rhythmik finden muss.“ Der Titel „Expedition im Augenblick“ beschreibt auch genau den Punkt, an dem sich der Künstler zum Abschluss seines Hochschulstudiums aktuell sieht: befasst mit der Suche und dem Finden, mit der Erkundung seines Materials das ihn zu seinen spezifischen künstlerischen Antworten führt.

Carl Bens: Affen und Löwen, Foto: Künstler

Carl Bens’ Interventionen im Rahmen der chronologischen Präsentation der Artefakte angewandter Kunst werden von dem Bewusstsein geleitet, „dass man ja immer auf den Schultern anderer steht. So ist es auch für mich spannend das Gegenüber und die Bezüge zum Historischen zu suchen.“
Zum Beispiel werden im Römischen Saal aus Schloss Eythra Löwen und Affen aus Glas die Farbigkeit dieses feudalen Raumes aufnehmen und sich als narrative, sicher auch etwas ironische Elemente in dessen Zeitgeist hinein begeben. An anderer Stelle eröffnet er in einem Raum, in dem Metall- und Glas-Arbeiten miteinander stehen, den Diskurs durch die Materialität seiner Arbeit: mit einer Kristallplatte, mit einer Craquelée Struktur die nicht durch ihr Körpervolumen sondern durch die Erscheinungsform ihrer Oberfläche von den Möglichkeiten des Materials erzählt.

Carl Bens: Pinguine, Foto: Künstler

Schneebälle, die nicht schmelzen, beerenfarbene Bären und eine Gruppe blauer Pinguine, ein schlafender Fuchs und ein anrührender Wal, eine leuchtend blaue, lebensgroße Raupe und andere Wesen werden die Besucher auf vielfältige Weise überraschen. Ein tiefschwarzer Meteoritenhagel verlockt zur Suche nach dem Innen und Außen und unterschiedlichste Materialerkundungen wecken auch die Neugier für die technisch-materiellen Besonderheiten ihrer temporären historischen Nachbarn. Carl Bens betont in circa 100 Objekten den spielerischen, auch humorvollen Ansatz seines Werkes: „Man wird so oft überrascht und ich liebe das Überraschende!“ Seine Expedition wäre gelungen, wenn der suchende und findende Forschergeist der in ihr steckt sich auf die Besucher übertragen würde – wenigstens für diesen Augenblick!

GRASSI Museum für Angewandte Kunst, Johannisplatz 5–11, 04103 Leipzig
I. OG Ständige Ausstellung “Antike bis Historismus”
Öffnungszeiten: Di–So, Feiertage 10–18 Uhr