Hintergrund

Die geheimnisvolle della Robbia Madonna – Teil I – im Gespräch mit Restaurator Christian Jürgens

Den aufmerksamen Besuchern der Ständigen Sammlung „Antike bis Historismus“ im GRASSI Museum für Angewandte Kunst Leipzig wird aufgefallen sein, dass sich im Saal 7 – Renaissance 1 – eine Veränderung ankündigt. Dort wurde Mitte Februar ein großes Plakat aufgehängt. Das schwarz-weiß Foto zeigt ein Altarretabel, also einen Aufsatza auf dem Altar, mit einer Renaissance-Madonna in Originalgröße. Marias milder, abwesender Blick richtet sich in die Ferne. Das dralle Christuskind auf ihrem Arm erhebt die Rechte zum Segensgestus und lehnt sich mit der Linken lässig auf die Brust seiner Mutter.

Wenn diese beiden zu uns sprechen könnten!

Doch sie bewahren ihr Geheimnis mit freundlicher Miene, während die Fachleute, Restauratoren und Wissenschaftler sich gleichermaßen von ihnen inspiriert und herausgefordert fühlen. Mit geradezu kriminalistischem Eifer suchen sie das Rätsel um die Terracotta-Madonna zu lüften, das sie als „della-Robbia-Projekt“ bezeichnen. Sie tauchen in die Tiefen der Kunstgeschichte und suchen die Unterstützung durch modernste naturwissenschaftliche Methoden. Denn schließlich sollen Mutter und Kind eines nicht allzu fernen Tages in ihrer reich geschmückten Nische im Saal 7 – Renaissance 1 – die Museumsbesucher begrüßen als sei es die größte Selbstverständlichkeit.

Chefrestaurator Christian Jürgens mit der della Robbia Madonna Foto: S. von Gwinner

Zuerst traf ich Christian Jürgens, den Chefrestaurator am GRASSI MAK, der auch Koordinator des „della-Robbia-Projektes“ ist, bei dem alle Fäden zusammen laufen. Über die Herkunft des fragmentarischen Retabels, dessen Herzstück, die Madonnen-Büste mit Kind, wohl aus der weltberühmten Werkstatt der florentinischen Majolika-Künstlerfamilie della Robbia stammt, werde ich mich später mit dem Kurator Historische Sammlungen Dr. Thomas Rudi unterhalten. Auch der Keramikerin Rosi Steinbach, betraut mit der Nachbildung der fehlenden Teile des Retabels, werde ich über die Schulter schauen und Fragen stellen.

Teile della Robbia Madonna & die Dokumentation der Datierungen | Foto: S. von Gwinner

Doch schon der Restaurator spricht so viele spannende Aspekte des „della-Robbia-Projektes“ an: Er berichtet zum Beispiel von dem internen Diskurs zwischen allen Beteiligten, in dem man sich dann auf den Begriff Nachahmung geeinigt hat.
Für zeitgenössische Restauratoren hört eine Restaurierung dort auf, wo die Fantasie anfängt. Aus der allgemeinen Restaurierungsgeschichte ergeben sich aktuell Grundsätze, die dazu führen, dass man heute alles weg lässt, von dem man nichts Genaues weiß. Oder man rekonstruiert es mit deutlich anderen Materialien, die eine Neuinterpretation unmissverständlich sichtbar machen. Im „della-Robbia-Projekt“ besteht das Retabel, seine Schmuckelemente, ja sogar die Madonna selbst, aus Teilen, die in verschiedenen Epochen gefertigt wurden. Dieses Prinzip, so ist man überein gekommen, wird nun fortgeführt und nicht in einer Rekonstruktion, sondern in einer Nachahmung durch die Ergänzungen der Leipziger Keramikerin Rosi Steinbach münden.

Rückseite des Gewands ab der Taille abwärts um ca. 1690 | Foto: S.von Gwinner

Die Werkstatt der della Robbia hatte ihre Blütezeit in der Renaissance, genauer gesagt in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Hier vermutet man die Herkunft der Madonna mit dem Kind. Die weiteren verbliebenen Teile des Gesamtarrangements legen stilistisch eher das 19. Jahrhundert als Entstehungszeitraum nahe. Doch dazu wird der Kurator Thomas Rudi wertvolle Hinweise geben, da er in kunsthistorischer Tiefe recherchierte. Das inzwischen bewährte Verfahren der Thermoluminiszenz-Datierung, das als Methode zur Altersbestimmung von Sedimenten, archäologischen Funden, aber eben auch Keramikobjekten seit den 60er Jahren vertrauenswürdige Ergebnisse liefert, führte auch im „della-Robbia-Projekt“ entscheidende Schritte weiter. Das Curt Engelhorn Zentrum Archäometrie gGmbH ermittelte Daten, die die Madonna und ihr Umfeld als ein „work in progress“ entlarven und das historische Wissen bestätigen. Demnach ist das Kernstück der Figur um 1450 zu datieren, das Gewand ab der Taille abwärts um ca. 1690 oder der Nischenbogen über dem Haupt der Madonna um ca. 1890.

Hängung des maßstabsgetreuen Plots der photogrammetischen Auswertungen historischer Aufnahmen | Foto: C.Jürgens

Als entscheidend erwies sich auch die technische Unterstützung der focus GmbH Leipzig, die mit ihren photogrammetrischen Auswertungen historischer Aufnahmen die Voraussetzung für eine maßstabsgerechte Rekonstruktion verlorener Teile schafft. Die kunsthistorischen Recherchen ermittelten zwei Fotografien des Ensembles aus unterschiedlichen Aufnahmerichtungen. Eine Computersoftware führte diese mit den Originalmaßen erhaltener Teile zusammen und ermöglicht einen 1:1 Plot, von dem nun millimetergenau die Maße der fehlenden Teile abgenommen werden können. Die Keramikerin Rosi Steinbach freut sich über diese Hilfestellung. Da bleibt ihr „nur noch“ selbst anhand vieler Versuche herauszufinden, welche Tonsorten, welche Glasuren, welche prozentuale Schrumpfung des Materials und so fort, sich für die Realisierung der geplanten Ergänzungen eignen. Sie kann sich da auf kein überliefertes Manufakturwissen stützen, sondern muss ihre Erfahrungen selbst machen und wird mir darüber berichten.

Hinter den “Kulissen” – Vorbereitung zur Montage des della Robbia Retabels | Foto: C.Jürgens

Wir stehen vor der hohen schwarz-weißen Plakat-Madonna in der Ständigen Sammlung, dem 1:1 Plot , der maßstabsgetreu eine erste Idee von der Wirkungskraft des „della-Robbia-Projektes“ vermittelt. Dahinter verbirgt sich die auf die Wand gezeichnete Silhouette des Retabels und ein großes Loch in der massiven Trockenbauwand. Die Tiefe des Objektes will eingeplant sein, der Einbau einer Konsole um das Gewicht abzufangen und die bestmögliche Art der Befestigung zu finden – jetzt, solange die entsprechenden Keramik-Teile in Rosi Steinbachs Atelier noch nicht gebrannt sind. Schritt für Schritt wird sich in den kommenden Wochen alles zusammen fügen.

Und ich werde das „della-Robbia-Projekt“, diesen musealen Krimi, weiter verfolgen.

Merken