An einem dieser ersten wunderbaren Frühlingstage bin ich zum Künstlerhaus Schaddelmühle in der Nähe von Grimma hinaus gefahren – Idylle pur! Hier stehen der Keramikerin Rosi Steinbach und der Porzellanmalerin Eva Schmidt großzügige Werkstatträume und Brennöfen zur Verfügung. Seit vielen Wochen kehren sie immer wieder hierher zurück, um in aufwändiger und akribischer Arbeit die ergänzenden Fragmente zur della Robbia Madonna aus dem GRASSI Museum für Angewandte Kunst herzustellen.
Als Museumsdirektor Dr. Olaf Thormann vor einigen Monaten Rosi Steinbach für dieses Projekt begeisterte gab es nur die Einzelteile der Madonna aus dem Fundus des Museums. Ihre Zusammenstellung, immer wieder in Angriff genommen, war jedoch seit jeher unklar. Umso glücklicher waren alle Beteiligten, als Kurator Dr. Thomas Rudi im Zuge seiner Recherchen die historischen Aufnahmen des Florentiner Fotografen Carlo Brogi (1850-1925) fand, die die Madonna in der Kapelle im Kastell Vincigliata bei Fiesole zeigen.
Das schwarz-weiße Foto vermittelt zwar einen anderen Farbeindruck: das helle Gelb erscheint dunkel und das dunkle Blau wird weiß dargestellt. Doch das hat, so vermutet Rosi Steinbach, technische Ursachen, da die in der frühen Fotografie eingesetzten Silbersalze hauptsächlich blauempfindlich waren und sich dadurch die hell/dunkel- Werte des Foto-Abzugs durch den hohen Blauanteil des Lichtes umkehrten. Für ihre Arbeit ist diese Abbildung überaus hilfreich, da sie jede Menge formale Anhaltspunkte für die Ergänzung der verloren gegangenen Partien bietet. Rosi Steinbach bleibt nahe an der Vorlage: „Alles, was nicht sichtbar ist, ergänze ich nach bestem Wissen und Gewissen, wobei meine Kenntnis vieler Werke der Della Robbias und ihrer Zeit hilfreich ist. Schließlich soll der Gesamteindruck einer Della-Robbia-Arbeit gewahrt werden.“
Am Anfang ihrer Arbeit standen sorgfältige Material- und Farbproben, denn jede Tonmasse schwindet unterschiedlich beim Brand. Auch die Glasuren, abhängig von Zusammensetzung und Hitze, fallen unterschiedlich aus und sollten doch so nahe wie möglich an die Farbigkeit der vorhandenen Stücke angeglichen werden. Für jedes Teil musste Rosi Steinbach schrittweise eine eigene Strategie des Vorgehens entwickeln. Mit viel Geduld und Disziplin erarbeitete sie sich die alten Methoden neu, damit am Ende die Konstruktion und Statik ebenso stimmen wie die Schmuckreliefs und Farbglasuren. „Vermutlich hatten die Glasuren einen höheren Bleigehalt, aber im Prinzip arbeitete man damals mit den gleichen Methoden wie heute.“
Für die Reliefs wurden Gipsformen gebaut. Gemeinsam mit Jürgen Hampp, der für die Montage des Bildwerkes zuständig ist, wurden für den Einbau entsprechende Löcher auf der Rückseite der Hohlkörper festgelegt. Vor dem Schrühbrand legte sie alle angefertigten Tonelemente wie Puzzleteile zusammen, um zu prüfen, ob alles passt.
Über die lange Zeit, in der sich Rosi Steinbach nun direkt mit dem Objekt auseinander gesetzt hat, entwickelte sie interessante Überlegungen zur möglichen Vorgeschichte. Das älteste Teil des Werkes ist die Büste der Madonna mit dem Kind, die es in dieser speziellen Anmutung wohl sehr häufig gegeben hat. Zumindest kursieren Bilder dazu im Internet, gleich ob als stehende oder sitzende Madonna mit Kind, die diese Annahme nahelegen. Wäre es denkbar, dass man die Teile der Madonna, also auch den Torso mit Kind, ihrer Beliebtheit wegen als Einzelteile in Serie produziert hat? So hätte man die unglasierten Rohlinge aufbewahren und später auf Bestellung zu einer stehenden oder sitzenden Figur zusammenfügen und insgesamt glasieren können.
Rosi Steinbach ist der festen Überzeugung, dass die beiden Teile der Madonna in einem Zuge farbig gefasst wurden, obwohl die Thermoluminiszenz-Datierung der keramischen Figurenteile unterschiedliche Datierungen vorschlägt. Sie geht auch von einer Ungleichzeitigkeit der Entstehung des Gesamtbildes aus, wenngleich auf der Konsole die Jahreszahl 1526 prangt.
Als weitere Hinweise erkennt Rosi Steinbach die Tatsache, dass der Bogen der Rückwand nicht hundertprozentig mit dem Reliefbogen abschließt und Details sowie Motive stilistisch nicht nur aus der Renaissance und dem Wirkunszeitraum der della Robbia Werkstatt stammen könnten.
„Eigentlich hat das, was ich weiß, und was ich nicht weiß, keinen Einfluss auf das, was ich hier mache“ sinniert Rosi Steinbach. „Und doch könnte man sagen, dass ich mit meiner Neuschöpfung die Quintessenz aus dem aktuellen Wissensstand ziehe.“
Ich werde das „della-Robbia-Projekt“, diesen musealen Krimi, weiter verfolgen. Mit Dr. Thomas Rudi bin ich schon verabredet um Licht in das Dunkel dieser Geschichte zu bringen. Das Geheimnis der della Robbia Madonna im GRASSI Museum für Angewandte Kunst Leipzig wird voraussichtlich im Mai 2019 gelüftet.