Ausstellung

Das ist das Leben! Man tanzt immer mit dem Tod – und hat seinen Spaß dabei!

Angenehme Kühle empfängt mich beim Betreten des GRASSI Museums für Angewandte Kunst in Leipzig an diesem Hochsommertag Ende Mai 2018. Der Countdown läuft – am 2. Juni werden zwei grandiose Ausstellungen eröffnet. Noch aber steigt man über Kisten. Die Möbel in der überraschenden „MADE IN DENMARK“-Schau werden gerückt und die Legenden mit den Arrangements in den Vitrinen abgeglichen. In der Orangerie ist die Ausstellung “L’AMOUR FOU” im Aufbau. Bei meiner Ankunft herrscht wispernd konzentrierte Stimmung. Oben auf dem Gerüst steht die niederländische Künstlerin Carolein Smit. Sie bemüht sich um den optimalen Neigungswinkel einer Fledermaus zwischen einem anmutig dahinschwebenden Skelett im Tütü und dem heranstürmenden Hirsch mit wehendem, üppig belaubten Astgeweih.

l’amour fou – Aufbau | Foto: Schnuppe von Gwinner

Ja, ich bin durchaus in der Realität angekommen. Carolein Smit ist bekannt für ihre mitreißend verstörenden Keramikfiguren, die ihre Fantasie aus dem unerschöpflichen Quell mythologischer Geschichten gebiert. Hier stehen und warten sie nun alle auf Bewunderung, auf erschrockene Gesichter und neugierige Blicke, auf Einverständnis oder Ablehnung: ein gehäuteter, sichtbar verzweifelter apokalyptischer Reiter, die selbstvergessene Leda mit dem Schwan, Wilde Männer, das Mädchen mit dem Hund, das Skelett auf dem schwarzen Schaf und viele andere mehr. Die Vielzahl und Vielfalt der Exponate verdankt das Museum dem generösen Leihgeber Michael Haas aus Berlin und einer Schenkung der Rotterdamer Sammlerin Rosemarie Willems, einer Freundin von Carolein Smit. Sie bilden das Spalier für den Besucher, der auf die nachtblaue Rückwand der Orangerie zu läuft, auf der Carolein Smit gerade diesen einmaligen Totentanz für das GRASSI Museum für Angewandte Kunst komponiert.

l’amour fou – Aufbau mit Carolein Smit | Foto: Schnuppe von Gwinner

In vielen, vielen Pappkartons sind die weißen Reliefs, mit Zahnstochern auf Kunststoffplatten fixiert, angereist. Skelette von Menschen, Hunden und Hasen, vier Fledermäuse, ein tanzender Bär und ein springender Hirsch sowie der Samba tanzende, halb nackte Papst mit seiner Partnerin „Das ist das Leben“, sagt die Künstlerin, „man tanzt immer mit dem Tod“, lacht sie, „und hat seinen Spaß dabei!“

Ich frage nach ihrer ersten Inspiration zu den Totentänzen, die sie in den vergangenen zwei Jahren schon in Amsterdam und aktuell auch im Victoria & Albert Museum in London inszeniert hat. „Ich habe eine große Schwäche für Wedgewood’s Jasperware, für die Ästhetik der matten Farben mit arkadischen Figuren.“ Sie erzählt: „einmal sah ich ein hohes Wedgewood-Podest, darauf einen Stilton Cheese! Diese Kombination der Schönheit anmutig tanzender Damen mit dem Geruch des Käses – das hat mich dann wirklich so sehr angeregt, das gefiel mir ungeheuer gut! Ich benutze eine ästhetische Form und mache etwas damit was gar nicht ästhetisch ist. Das passt nicht zusammen – es sieht sehr hübsch aus, man schaut dann genauer und entdeckt, das sind Schädel – das sind keine Blumen!“

l’amour fou – Aufbau mit Carolein Smit | Foto: Schnuppe von Gwinner

Die Installation des Leipziger Totentanzes schreitet voran. Der Hirsch schleppt eine schwingende Sternenspur hinter sich her. Carolein Smit liebt diese Sterne, die mit ihren vielen, feinen Tentakeln das geheimnisvolle Glitzern der Himmelsgestirne imitieren. Dann bringt sie den tanzenden Bären ins Spiel, mit Ring durch die Nase und Ketten. „Das ist so peinlich“, schimpft Carolein Smit, „so ein schönes, großes Tier, das man tanzen lässt! Das ist ja kaum auszuhalten!“ Ein fiedelndes Skelettmädchen im wirbelnden Spitzenröckchen spielt ihm auf. Ein kleines Hundeskelett nimmt im weiten Sprung die Verfolgung des Hirsches auf.

Während Carolein die einzelnen Reliefteile auspackt und auslegt, beschreibt sie ihr technisches Vorgehen, z. B. ihre Methode, unterschiedliche Strukturen für die Oberflächen zu schaffen. Sie baut Skelette als Gerüst, auf die sie die präparierten Tonflächen – Haut, Fell – auflegt und mit den Händen anmodelliert. „Ich brauche keine Intelligenz dazu“, sagt sie, „es ist alles reine Intuition.“

l’amour fou – Detail | Foto: Schnuppe von Gwinner

Mit Aufmerksamkeit kann man ihre Spuren lesen, in den Details aller Figuren ihre virtuosen Fingerprints erkennen, als organisch geformte Knochen, Ansatzpunkte der Gelenke, Rippen und filigran ausgebildeten Hände und Füße, in rastloser Konzentration modelliert, abstrahiert und doch realistisch anmutend. Genauso die Felle, Federn, Perlenschmuck und die Gewänder aus fein gemustertem Brokat, Krägen aus üppiger Spitze, das Geschlecht und die Schuhe, mit virtuosen Händen erschaffen.

l’amour fou – Detail | Foto: Schnuppe von Gwinner

Nun ist der Samba tanzende Papst mit seiner Partnerin an der Reihe. „Glaubst Du wie erschöpfend es ist solche hässlichen alten Männerbeine zu modellieren?“ fragt sie lachend. Carolein Smit hat so viel Humor und so viel Selbstvertrauen. Sie ist schnell, sehr gut vorbereitet, wirkt fast routiniert. Man mag kaum glauben, dass die Choreographie jeden Tanzes spontan entsteht. Lediglich die Einzelfotos der Protagonisten und Elemente wurden vorher am Computer hin und her geschoben um eine vage Vorstellung zu fixieren. Erst an seinem Bestimmungsort, hier in Leipzig, inszeniert Carolein Smit ihren Totentanz als beschwingt-bewegtes Szenario: humorvoll, dramatisch, gleichzeitig charmant, süß und verlockend, aber auch schockierend, garstig, verstörend!

Am Samstag, den 2. Juni 2018, wird um 14 Uhr die Ausstellung “L’AMOUR FOU” in Anwesenheit der Künstlerin Carolein Smit eröffnet.

Am Sonntag, den 3. Juni, sowie am Sonntag, 30. September 2018, um jeweils 14 Uhr spricht die Künstlerin über die Entstehung ihrer Werke.

Diese Termine bieten einmalige Gelegenheiten sich von Carolein Smits Credo überzeugen zu lassen: „Das ist das Leben! Man tanzt immer mit dem Tod – und hat seinen Spaß dabei!“

Faltblatt zur Ausstellung

Das Buch zur Ausstellung (auch im Museum erhältlich)

GRASSI Museum für Angewandte Kunst, Johannisplatz, 04103 Leipzig – Öffnungszeiten:
Di-Fr: 11-18 / Sa-So: 10-18 Uhr

l’amour fou – Aufbau | Foto: Schnuppe von Gwinner