Schon im November, auf jeden Fall pünktlich zum Weihnachtsfest, hat der gerade restaurierte Großbardauer Altar seinen Platz in der Ständigen Sammlung „Antike bis Historismus“ im GRASSI Museum für Angewandte Kunst gefunden. Ihm musste der Kleinpötzschauer Flügelaltar, (1508/09) von Jakob Naumann und Franz Geringswald aus Altenburg, weichen. Doch der fügt sich nun nach seiner Umsetzung großartig in die neue Nachbarschaft mit dem jüngst komplettierten Callenberger Altar (1512/1513) von Peter Breuer. Jetzt begrüßt der Großbardauer Altar die Besucher, die, über einige Stufen kommend, die abgedunkelte Raumflucht mit den strahlenden Schätzen spätgotischer Altarkunst betreten. Hier lässt sich der fünfhundert Jahre überdauernde Genius bedeutender Bildschnitzer sakraler Kunst auf unvergleichliche Art erleben.
Der Architekt und Kunsthistoriker Cornelius Gustav Gurlitt beschrieb den Flügelaltar aus der Kirche des Dorfes Großbardau 1897 in seiner beschreibenden Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler des Königreichs Sachsen, Heft 19, wie folgt: „Der Schrein, 156 cm breit, 156 cm hoch, in drei Theile geteilt: in der nischenartigen Mitte die geschnitzte, ca. 90 cm hohe Madonna mit dem Kinde, auf ergänztem Sockel, darüber ein geschnitzter Baldachin. Zur Seite zwanzig je 60 cm hohe Heilige, St.Barbara, ein Papst mit aufgeschlagenem Buche, eine gekrönte Heilige, St.Nikolaus, St.Margarethe(?), St. Georg, eine gekrönte Heilige, ein Mönch und die Apostel auf den Seitenflügeln… Das Ganze eine derbe, fast bäuerische Arbeit, doch nicht ohne Streben nach starkem Ausdruck. Um 1480. Seit 1827 in der Sammlung der deutschen Gesellschaft Leipzig.“
Spätestens der Beurteilung als „bäuerischen Arbeit“ widerspricht der Restaurator des GRASSI Museums für Angewandte Kunst, Thomas Andersch, vehement: „Großbardau und seine Kirche gehörten zum Zisterzienserinnenkloster Nimbschen. Dort ist dieser Altar, den man heute nach Prof. Ingo Sandner auf 1500 – 1510 datieren kann, gestiftet worden und deshalb ist er etwas ganz Besonderes. Bis jetzt wird eine Leipziger Werkstatt für die Herstellung angenommen.“ Er beschreibt, wie er herum gefahren sei, um möglichst viele Altäre der Zeit anzuschauen und um schließlich festzustellen, dass der Großbardauer Altar schon deshalb so einzigartig ist, weil seine originale Fassung – Bemalung – noch in bemerkenswert gutem Zustand ist. Das kommt sehr selten vor, da die meisten Altäre in früherer Zeit immer wieder übermalt wurden. Inzwischen ist man vorsichtiger geworden, bemüht sich um einen geschlossenen Eindruck, aber man negiert nicht die Zeit, die über das Werk hingegangen ist.
Die Bandbreite einer Restaurierung reicht von der Rekonstruktion bis zur bloßen Reinigung. Man muss sich die Frage stellen, ob man einen eher ästhetischen oder dokumentarischen Zustand anstrebt, der auch davon abhängt, ob ein Altar in einer Andachtssituation verbleibt oder ob er museal präsentiert wird. Bereits vor Beginn der Arbeiten legen die Auftraggeber gemeinsam mit den Restauratoren fest, welche Maßnahmen zu welchem Ziel führen sollen.
Im Gespräch mit der Restauratorin Betina Beck, in deren klimatisierten Atelier der Altar die letzten fünf Jahre verbrachte, nimmt das spannende Thema der Konzeption einer zeitgemäßen Restaurierung breiten Raum ein. Neben Betina Beck, die sich um die Restaurierung der beiden Flügel samt Figuren bemühte, bearbeitete Elvira Kless den gesamten Mittelschrein. Für den Großbardauer Altar entschied man sich für eine Konservierung, die zu einer Geschlossenheit des Gesamteindrucks führt. Die Schönheit des Altars lässt sich wahrnehmen, ohne dass sein Alter geleugnet wird. Er wurde einer gründlichen Reinigung unterzogen, wobei die Restauratorin zuerst an Proben testen musste, mit welchen unterschiedlichen Methoden z. B. Gold, Inkarnate oder auch leimgebundener Azurit gereinigt werden können. Dieser Vorgang nahm schon ein langes Jahr in Anspruch. Auch die Kittung der Oberflächen war notwendig. Fast alle Nasen waren beschädigt und wurden ergänzt, mit Kreide und Leim gespachtelt, geglättet und dann retuschiert. Jede Maßnahme hat sie in einem akribischen Arbeitsprotokoll dokumentiert. So kann jeder nachfolgende Restaurator genau nachvollziehen, wie mit welchen Materialien eingegriffen wurde. Der Erhaltungszustand war sehr unterschiedlich und die Alterung sollte sichtbar bleiben. Zerbröselter Hintergrund wurde so lange getupft und bearbeitet, bis er wieder geschlossen war – das ist etwas ganz anderes als eine Übermalung, die man heute nicht mehr machen würde, denn die übereinander liegenden, verschiedenen Materialien altern unterschiedlich. Übermalungen zerstören, Ergänzungen kann man tolerieren.
Der auch bei Gurlitt schon erwähnte „ergänzte Sockel“ der Madonna wurde nun von Thomas Andersch neu entworfen, angefertigt und hinzugefügt. Er baute ihn „sozusagen als die Quintessenz aller erhaltenen Mariensockel in vergleichbaren Altären der Region. Der Sockel ist lediglich durch Profile gegliedert und nur lasiert um sich perfekt seiner Umgebung anzupassen. Er bleibt als Neuerfindung, als eine Zutat ehrlich, die sich auf den zweiten Blick erschließt.“
Eine eingehende kunstwissenschaftliche Beschäftigung mit dem Großbardauer Altar erfolgte bisher nur in Ansätzen durch die ehemalige wissenschaftliche Volontärin Fanny Stoye. Sie war es auch, die sich vehement für eine Ausstellung des Altares in der Ständigen Sammlung stark gemacht hat. Nach der vollendeten Restaurierung oblag es Thomas Andersch und ihr, die Altäre an ihren neuen Plätzen zu installieren, was sie durch Kulissenschieberei mit 1:1 Pappmodellen vorher probten, um die optimalen Positionen zu ermitteln. Nun wird der Betrachter von der Aura der Altäre in den Bann gezogen und kann sie eingehend aus der Nähe betrachten – ein wunderbares Erlebnis!
GRASSI Museum für Angewandte Kunst
Johannisplatz 5-11, 04103 Leipzig
Öffnungszeiten
Di-So, Feiertage: 10-18 Uhr,
Mo und am 24.12. und 31.12. geschlossen,
freier Eintritt an jedem ersten Mittwoch im Monat.