Thomas Andersch ist Möbelrestaurator am GRASSI Museum für Angewandte Kunst Leipzig und ein hochengagierter Mann, der sich mit detektivischer Akribie in seinem Fachgebiet und an deren Rändern bewegt. Seinen Recherchen verdankt auch die Kunstwissenschaft sehr viel. Gleichzeitig restauriert er natürlich historische Möbel, verwaltet die beiden Möbeldepots, unterstützt das Museumsteam beim Aufbau von Ausstellungen und teilt seine Passion für Kultur- und Technologie-Geschichte in fesselnden Führungen. Am liebsten, so sagt er, führt er Auszubildende, Studenten und junge Menschen, die er mit seinem enormen Wissen sehr beeindrucken kann, weil den meisten die Erdung in solidem Handwerks- und Materialwissen fehlt. Ich besuchte Thomas Andersch Ende August in seiner Werkstatt im Museum, da ich neugierig auf seine aktuelle Arbeit am Großbardauer Altar war, der im Winter seinen Platz in der ständigen Ausstellung des Museum einnehmen soll. Doch die Umstände dazu sind so spannend, dass sie einen eigenen Post im Blog bekommen werden. Hier geht es erstmal um die besondere Geschichte des Restaurators und die ausserordentliche Historie der Möbelsammlung.
„Ich bin gelernter Tischler. Ich habe bei einem privaten Tischler in Radebeul gelernt, ungewöhnlich zu DDR Zeiten. In dieser Privat-Tischlerei gab es noch eine altertümliche Arbeitsmoral, mit einer ganz rigiden Auffassung von Handwerk. Rückblickend war es ein Segen, dass ich das erleben durfte. Danach bin ich zur Denkmalpflege, in einen großen volkseigenen Betrieb in Dresden gekommen. Hier waren sämtliche Gewerke, die für die Denkmalpflege von Relevanz sind, vertreten, wie z.B. Kupferklempner, Dekorationsmaler, Stukkateure, Holzbildhauer und viele andere. Ich war in der Tischlerei. Das war für mich der Sprung in die Restaurierung. Ich habe dort Kollegen kennen und schätzen gelernt, die ich heute noch für gemeinsame Projekte aktiviere. Mein Horizont hat sich dort wahnsinnig erweitert, denn man hat den Leuten dort über die Schulter geguckt und war gemeinsam in verschiedenen sächsischen Schlössern tätig. Schliesslich hatte ich das Glück in die Werkstatt des Stadtmuseums Dresden zu kommen. Von dort aus machte ich ein Fachschul-Fernstudium das in einem, dem Diplom ebenbürtigen Abschluss mündete. Das war großartig, als berufsbegleitendes Studium angelegt. Wichtige Fachleute unterrichteten uns, z.B. Professor Hans Michaelsen oder Dr. Achim Unger. Wir hatten eben schon die richtigen Fragen, weil wir aus der Praxis, aus dem Beruf, kamen.
1993 kam ich an das GRASSI Museum für Angewandte Kunst nach Leipzig. Ich habe hier einen einzigen Trümmerhaufen vorgefunden, was die Möbel betrifft. Katastrophale Aufbewahrungsbedingungen, das Haus war marode. Das Dach war undicht, in die Keller lief das Wasser wenn’s geregnet hat. Wir haben hier richtig gegen Naturgewalten gekämpft.
Die Möbel waren im ganzen Haus verteilt und von Schädlingen aller Art befallen. Das war eine erste große Bewährungsprobe. Zuerst musste der aktive Schädlingsbefall gestoppt werden. Das gelang glücklicherweise mit einer neuen Technologie, bei der die hölzernen Objekte auf 55 °C erhitzt werden um dadurch Eiweißverbindungen in allen Lebensstadien zu denaturieren. Das war eine ziemlich schnelle und praktikable Methode. Entscheidend für das Gelingen war eine geschlossene Kammer – in der Größe eines Containers – in der man die Luftfeuchtigkeit messen und regulieren kann, damit keine Spannungen im Materialgefüge auftreten. Dieses Prinzip hatte man zu der Zeit gerade entwickelt. Es kam aus der Bau Denkmalpflege. Ganze Häuser hat man eingepackt und so die Schädlinge bekämpft. Bei den empfindlichen Kulturgütern funktionierte das mit der angemessenen Sorgfalt hervorragend und es hatte den Vorteil, dass die Behandlung nur ein bis zwei Tage dauerte. Es blieb gerade genug Zeit die Objekte hin und her zu schleppen und eins nach dem anderen zu behandeln. Das war großes Glück! Jetzt haben wir eine Stickstoffkammer im Keller, doch die braucht eben fünf Wochen. Damit hätten wir viel zu lange gebraucht um diese große Menge zu bewältigen. Voraussetzung war natürlich die Einrichtung eines neuen Möbeldepots, um die behandelte Ware in sicheren und beherrschbaren Räumlichkeiten lagern zu können.
Wir haben Fotos gemacht, Karteikarten angelegt und erstmal geschaut, was überhaupt da ist. Das war ja völlig unklar. Zu DDR Zeiten war alles Volkseigentum. Da waren viele Irrläufer dabei, Bodenreform Schlossbergungen, von irgendwoher weg genommeneSachen. Es stand Volkseigentum dran und das hat keiner hinterfragt. Nach der Wende kamen die Alteigentümer und suchten nach ihren Sachen. Vieles haben wir zurückgegeben, vieles haben wir mit der Stadt verhandelt, wie man das ausgleicht. Das war ein Riesenprozess der über viele Jahre lief. In vielen Museen ist das ja heute noch nicht abgeschlossen. Diese Eigentumsfrage, die ganze Provenienzgeschichte ist ein Riesenthema, doch hier im Museum sind wir ganz gut durch damit.
Hier im GRASSI Museum für Angewandte Kunst Leipzig hängt auch noch die ganze Sammlungsgeschichte dran. Die Russen haben 1945 aus Leipzig mehrere Güterzüge an Kunstgut requiriert. Da sind große Teile der Möbelsammlung dabei gewesen. Der Sammlungsbestand insgesamt ist recht gut über den Krieg gekommen. Aber ausgerechnet der Möbelbestand ist besonders stark von Verlusten durch Plünderung betroffen. Vieles wurde auch als Trophäe, als Reparation abgeführt. Wir wissen dass tatsächlich einiges aus unserem historischen Möbelbestand noch vorhanden ist, in irgendwelchen Depots in Sankt Petersburg schlummert. Der Direktor des Museums, Dr. Thormann und die Ausstellungskuratorin Ute Camphausen fanden das im Nürnberger Archiv heraus, in dem die Unterlagen dazu existieren. Da sind ihnen unsere Inventarnummern nur so entgegen gekullert. Diese Verluste sind nach dem Krieg ausgeglichen worden, z.B. durch Übernahmen von Enteignung. Das war damals die Methode um solche Verluste irgendwie auszugleichen.
Dr. Bethe, der sehr verdienstvolle Nachkriegsdirektor, hatte gute Verbindung zu der Kommission, die durch Sachsen fuhr, diese Dinge taxierte und neu verteilte. So kamen sehr schöne Barockmöbel, wie die großen Dielenschränke, ins Grassi Museum für Angewandte Kunst. Das musste nach der Wende verhandelt werden und wir haben auch einiges zurückgegeben. Doch einiges durften wir behalten und einiges ist auch tatsächlich alter Sammlungsbestand. Es ist also eine Mischung. Doch wir haben auch Sammlungsbereiche da ist gar nichts da. Wir haben keine relevanten Biedermeier-Möbel. Der komplette Kriegsverlust ist niemals ausgeglichen worden, da klaffen riesige Lücken im Sammlungsbestand. Aus meiner Sicht müsste bei den Möbeln ein bisschen mehr passieren. Man müsste ganz gezielt Erwerbungen tätigen können.
Andererseits, so konstatiert Thomas Andersch, sind die Depots voll und der Aufgaben so viele, dass professionelle Unterstützung, z.B. durch die Einstellung von Museologen, wünschenswert wäre. Der Museumsalltag fordert alle Museumsmitarbeiter bis an ihre Grenzen. Ihr Engagement ist weit über ihre ursprüngliche Qualifikation gefragt. In der Tat sind die beschriebenen Aufgabenfelder und Aktivitäten für einen Aussenstehenden beeindruckend. Die Vorstellung vom kontemplativ in ein Objekt versunkenen Restaurator lässt sich nicht aufrecht erhalten: bestimmt nicht nur im GRASSI Museum für Angewandte Kunst Leipzig sind umtriebige Allrounder als Bewahrer und Vermittler von Kultur und Geschichte unterwegs.