Ausstellung

Fotobücher. Entdeckungen!

Ein Raum im Raum schafft Raum für „Fotobücher. Kunst zum Blättern“. Hier lässt sich ein ganzes Universum erschließen. Abgeschirmt vom regulären Ausstellungsbetrieb, mit Einweghandschuhen an den Händen, viel Zeit und noch mehr Neugierde, lassen sich 45 eigensinnige Geheimnisse entdecken.

Ich treffe mich mit den Kuratoren dieser besonderen Ausstellung, Silvia Gaetti vom GRASSI Museum für Angewandte Kunst und Calin Kruse, publizierender Fotokünstler aus Leipzig. Ihre Kooperation verband beider Perspektiven, den wissenschaftlichen wie den praxisorientierten Blick auf das Fotobuch als relevantes künstlerisches Medium unserer Zeit. Ihre Auswahl umfasst die Buchobjekte von 45 internationalen Fotokünstlern.

Raumaufnahmen / Foto: Felix Bielmeier

Zweifel an ihrer Vertrautheit mit der Szene dieses Genres begründete die Frage eines US-Journalisten, der wissen wollte, wie sie es geschafft hätten, eine Ausstellung von künstlerischen Fotobüchern zusammenzustellen ohne die wichtigen US-amerikanischen Positionen zu berücksichtigen. Silvia Gaetti scheint sogar etwas stolz darauf zu sein. Sie betont, dass sie nicht die bekanntesten und höchstdotierten Werke gesucht hätten, sondern die ganz Besonderen. Sie wünschten sich eine große Bandbreite an Themen. Fotobücher, die als mehrdimensionales Medium Geschichten erzählen wie auch als Kunstobjekt bemerkenswert sind.

In ihrer Auswahl trifft man nun auf eine überraschende Vielfalt transdisziplinärer Ansätze, die sich individuell in den Fotobüchern vereinen und anschaulich machen, dass diese keine lineare Erzählweise verfolgen. Das Zusammenspiel geistiger, visueller und haptischer Erfahrungen führt zu außergewöhnlichen Konzepten. Ihre Inhalte fügen sich gleichberechtigt zum Ganzen: Geschichten, Fotografie, Material, Bindung, Form und Format. Die Auflagen dieser Künstlerbücher reichen vom selbst publizierten Unikat bis zu aufwendig gebundenen großen Auflagen namhafter Verlage.

Silvia Gaetti weist als Beispiel auf Melissa Lazukas „Fly away“ Fotobuch-Unikat hin, eines aus einer Serie von 25 Büchern, in der jedes für sich eine Metapher für die Flüchtigkeit der Kindheit ist. Als eine Collage aus verschwommenen Bildern, Mehrfachbelichtungen, Texten und Illustrationen aus Kinderbüchern, die in einem Vintage-Einband von einer historischen Spitze zusammen gehalten werden. Für das Museum stellte die Künstlerin ein eigenes Exemplar her – zum anfassen! Vergänglichkeit wurde in die Gestaltung des Buches übersetzt und durch die Abnutzung wird sie einmal mehr offenkundig.

Thomas Sauvin, Until Death Do Us Part, Jiazazhi Press, 2015-2018

Sperrige Inhalte kommen im sperrigen Format daher, politische Brisanz nutzt die perfekte Camouflage. Autobiographische Reflexionen, echte oder fiktive Dokumentationen, pure Poesie, Gefundenes, Voyeuristisches … offenbart oder versteckt sich, antagonistisch oder harmonisch, in den Exponaten. Jedes von ihnen überrascht und fordert ganze Aufmerksamkeit für die Preisgabe seiner Geschichte.

Als Betrachter*in eines Fotobuches kommt man der Perspektive und Motivation des Künstlers auf ganz andere Weise näher, als es gegenüber einem Bild oder einer Skulptur möglich ist. Die Intimität des Mediums erlaubt nur das direkte Gegenüber, im individuellen Tempo betrachtend, berührend, blätternd, forschend, fühlend. Entdeckungen und Assoziationen erwachsen ganz aus der Begegnung des Objektes mit den eigenen Erfahrungen. Jedes Buch birgt ein wirkliches Geheimnis, das jeder für sich erschließen, bewahren oder kommunizieren kann. Im Grassi Museum für Angewandte Kunst sind mit der Ausstellung „Fotobücher. Kunst zum Blättern“ derzeit ideale Bedingungen geschaffen, dieses Medium zu entdecken.

Eine wunderschöne Publikation zur Ausstellung – ein eigenes kleines Kunstwerk – stellt alle Exponate vor: im Verlag dienacht Publishing. 148 Seiten, 100 x 240 mm, Deutsch/Englisch, Preis: 28€

Im Rahmen der Ausstellung findet vom 18. bis 20. März das erste Leipzig Photobook Festival im Museum statt. In den Räumen der unteren und oberen Foyers präsentieren nationale und internationale Austeller*innen aktuelle Veröffentlichungen und Projekte. Von einzelnen Künstler*innen und Fotograf*innen bis hin zu kleinen bis mittelgroßen Independent-Verlagen: Die Messe ermöglicht eine direkte Begegnung mit den Macher*innen.