Ausstellung

„Ich schreibe mein Leben in Ton“ – Maria Geszler-Garzuly

Betritt man das Grassi Museum für Angewandte Kunst in Leipzig durch die großen Eingangstüren, so gelangt man in eine weitläufige Halle, in die auch das lichte Treppenhaus mit den Fenstern von von Josef Albers führt – die weltweit größte Flächenglas-Gestaltung eines Bauhauskünstlers.

Linkerhand, die Treppe flankierend, lockt ein Paar gläserner Vitrinen mit wechselnden Objekt-Präsentationen. Diese „Foyerausstellung“ stimmt den Museumsbesucher ein wie, man erlaube mir die Anleihe bei den Wortschätzen der Kulinarik, ein Appetizer, ein visuelles Schmankerl, ein Amuse-Gueule. Hier werden ausgewählte Positionen der angewandten Kunst, Künstler, Sammler, besondere Schätze der Sammlung vorgestellt, ins Rampenlicht geschoben. Gleichzeitig für ein aufmerksames Innehalten und als überraschender Auftakt für den Museumsbesuch.

Maria Geszler-Garzuly Objekte der Serie “Klang und Form” 2010 – 2020 | Foto: SvGwinner

Aktuell wecken die poetischen Keramikobjekte der ungarischen Künstlerin Maria Geszler-Garzuly die Aufmerksamkeit bei Ankunft und Abschied im Museum. Objekte der Serien „Klang und Form“ sowie „Meteoriten und andere Geschichten“ stehen dort und möchten betrachtet werden. Anlässlich ihres runden Geburtstages hat die Künstlerin dem GRASSI Museum für Angewandte Kunst zehn bedeutende Arbeiten als Schenkung überlassen. Sie ergänzen einen bis dato eigenen kleinen Bestand. Sie sind aus Porzellan gebaut, teilweise glasiert und mit Siebdruckmotiven bebildert. Nachdenkliche, im Autobiographischen verankerte Texte der Künstlerin begleiten sie und lösen das Rätselhafte dieser Artefakte etwas auf – daher werde ich sie hier nicht zitieren sondern die Leser bitten, sich selbst vor Ort diesem Erlebnis der Entdeckung auszusetzen.

Maria Geszler-Garzuly wurde am 07. Juni 1941 in Budapest in eine Musikerfamilie hineingeboren. Sie selbst spielte früher das Violoncello. Ihr Diplom in Keramikkunst machte sie 1965 an der Ungarischen Akademie für Handwerk und Design, wo sie bei Árpád Csekovszky studierte. Im Anschluss arbeitete sie bis 1980 als Designerin in der Keramikindustrie. Sie lebt in Szombathely und hat seit 1975 auch ihr eigenes, unabhängiges Studio dort. Bekannt wurde Maria Geszler-Garzuly durch ihre humanoiden Flaschenformen, auf die sie Oberflächendesigns in Siebdrucktechnik überträgt die dann salzglasiert werden. Viele Studienreisen und Ausstellungen führten die mehrfach ausgezeichnete Keramikkünstlerin, die in ihrer Heimat auch aktives Mitglied mehrerer Künstlervereinigungen ist, um den gesamten Globus. Internationale Reputation erhielt sie nicht nur durch ihr Werk, sondern auch durch zahlreiche Arbeitsaufenthalte im Ausland und den offenen, zugewandten Erfahrungsaustausch mit Keramikern aus der ganzen Welt. Sie beherrscht, was sie tut – und was noch viel wichtiger ist: Sie hat Freude daran, ihr Wissen zu teilen und weiterzugeben.

Maria Geszler-Garzuly Objekt a.d. Serie Meteoriten “on the seaside” Porzellan, gebaut, Siebdruck, teilweise glasiert, Szombathely, 2019 | Foto: Felix Bielmeier

Seit Jahrzehnten experimentiere ich, um meine eigene Persönlichkeit in einfacher, konzentrierter Form mit leuchtenden Inhalten auszudrücken. Ich stelle mir vor, wie meine Figuren in der Landschaft leben, sich in einem Busch verstecken, im Gras liegen, im Wasser stehen. In der Ausstellungshalle, auf Sockeln, sehe ich ein dissonantes Phänomen. Deshalb habe ich versucht, sie auf keramische ‚Steine‘ zu stellen oder die Hälfte von ihnen in Steinformen zu bauen – damit sie auch in dieser sterilen Umgebung zur Natur zurückkehren können.“

Der Widerspruch von hart und weich, natürlich und konstruiert, beschäftigt sie. Auf den Inhalt bezogen: die unentwirrbaren wolkigen Ideen. „Wie kann man aus der in uns geborenen Skulptur ein Objekt schaffen?“ fragt sie sich und tastet sich an die surrealistische Verwandlung von Steinen und Statuen heran, Porzellansteine, eierschalenweiß mit Siebdruck-Bildern. Aber was für Bilder?

Maria Geszler-Garzuly Objekt a.d. Serie Meteoriten “Electrical Meteorite” Porzellan, gebaut, Siebdruck, teilweise glasiert, Szombathely, 2019 | Foto: Felix Bielmeier

Als Osteuropäerin sieht sich Maria Geszler-Garzuly als Tochter eines schiefgelaufenen ideologischen und gesellschaftlichen Experiments – des Sozialismus. Den Ursprung ihrer Motive beschreibt sie selbst: „Nach meinem Abschluss an der Hochschule begann ich als Designerin in einer reinen, vernachlässigten, ‘weltfremden’ Keramikfabrik zu arbeiten. Von da an spürte ich den Rauch der Kühltürme, die Linien der zerbrochenen Fenster der Fabrik, die Fließbänder, die Metallarbeiterinnen mit ihren Krampfadern an den Beinen, die Stromzentralen, den Kranfriedhof und die Einsamkeit der riesigen, schlecht beleuchteten Fabrikhallen. Die Masten, der Boden von Flugzeugen, der von Giftgas rot gefärbte Himmel, hatten für mich eine besondere Bedeutung. Ich begann, diese Eindrücke zu fotografieren und über Siebe auf Porzellan zu übertragen, ich formte und zerknüllte sie zusammen mit dem Material. Dabei ließ ich mich von zwei Gefühlen leiten: Bewunderung und Entsetzen. Bewunderung und Anerkennung beim Anblick von menschlichem Geist und Technik und Furcht und Angst beim Anblick dieser riesigen, isolierten, knarrenden Stahlwerke.“

„Ich schreibe mein Leben in Ton“ erklärt Maria Geszler-Garzuly, „…Alles ist mit Bildern gefüllt: Ich lebe im Rausch des Spektakels: die Autobahn ist für mich nicht die Straße, sondern die Szene der Wiesen, Wälder, ich, bin fasziniert vom Himmel und den Kondensstreifen von Flugzeugen, und von große Graffitis, die ‘wie Trauer an Häuserwänden’ dahinschmelzen. Ich sehe Bilder hinter all den geschriebenen und gehörten Worten – so wurde ich Keramikkünstlerin und verliebte mich in die Fotografie, und auch in die Übertragung der Bilder auf keramische Oberflächen.

Wenn Maria Geszler-Garzuly die Geheimnisse und Gefühle ihrer Lebenserfahrung und Wahrnehmung in ihre Werke einfliessen lässt entsprechen diese durchaus auch allgemeinen menschlichen Erfahrungen, die vielleicht nicht jeder so ausdrücken, die aber jeder lesen und auf seine individuelle Weise deuten kann. Diese Keramiken inspirieren als Auftakt für den Museumsbesuch dazu, Gesehenes auf der Basis eigener Erfahrungen zu deuten – und dann zu schauen was die Fakten darüber hinaus verraten.

Bis 10.10.2021

TON-POESIE  Maria Geszler-Garzuly

Foyerausstellung im GRASSI Museum für Angewandte Kunst Leipzig

Wer es ganz genau wissen möchte kann auch einen Kurs bei Maria Geszler-Garzuly belegen: am 3./ 4./ 5. SEPTEMBER 2021 „Drucktechniken: kreativer Siebdruck & Umdruckverfahren“  (in Eberbach am Neckar)