Ausstellung

Im Gespräch: Phänomene kultureller Aneignung

Das allgegenwärtige kulturelle Crossover drängt sich als ein ebenso zentrales wie offensichtliches Thema der Globalisierung geradezu auf. Kuratorin Silvia Gaetti, die sich schon während ihres Studiums der Kunstgeschichte vorrangig den transkulturellen Themen widmete, bietet mit der Ausstellung „CULTURAL AFFAIRS“ Einblicke und Erklärungen, die helfen können, diese Welt der lebhaften kulturellen Beziehungen besser zu verstehen. Früher sprach man oft von „Einfluss“ den etwas auf etwas anderes habe, doch diesen Begriff erklärt sie zur Einbahnstraße, die so nicht existiert. Gesellschaften und ihre Kulturen lassen sich eher durch ihre heterogene Mischung und ihren Pluralismus beschreiben, deren Impulse in unterschiedlichste Richtungen von Kunst, Handwerk und Design permanent aufgegriffen, mitgenommen und variiert werden.

Ein vielschichtiges Thema!

Wie kann man da den Fokus setzen?

Blick in die Ausstellung “Cultural Affairs” | Foto: SvGwinner

Artefakte des Handwerks und Designs zeigen Spuren und Tendenzen eines regen kulturellen Austausches besonders deutlich. „Doch die Sammlung geht in eine Richtung, die mit ihrer europäischen Prägung die heutige Welt nicht darstellen kann“, stellt Silvia Gaetti fest, „ich möchte andere Positionen hinein bringen. Damit sich die Sammlung in eine andere Richtung öffnet, um die Welt besser darzustellen, muss man tagesaktuell sammeln. Zeitgenössische Objekte, von denen man heute vermuten kann, dass sie in hundert Jahren noch eine Relevanz haben werden und auch ganz banale Dinge des täglichen Bedarfs.“ Ungefähr die Hälfte aller Exponate der Sonderausstellung sind daher Leihgaben und Ankäufe sowie internationale und interkulturelle Projekte, mit denen sich darstellen lässt, dass in den vergangenen Jahrhunderten, ebenso wie in unserer heutigen, immer vernetzteren Welt, Kunst und Design ohne transkulturelle Begegnungen nicht denkbar sind.

Blick in die Ausstellung “Cultural Affairs / Transkulturelle Begegnungen” | Foto: SvGwinner

„Wir befinden uns aktuell in einer total übersensiblen Phase der kulturellen Identität – das Thema der Diversität tritt so richtig auf einen Nerv, denn wir verändern uns gerade als Gesellschaft.“ Silva Gaetti lässt jedes einzelne Objekt in der Ausstellung seine Geschichte transkultureller Begegnung erzählen – als Zeugnis einer Gesellschaft im Wandel. Sie vermutet so viele spannende Perspektiven, die noch entdeckt werden können und bedauert, doch nur ihre individuelle, wenn auch professionelle, Sichtweise in die Ausstellung einbringen zu können, „als eine Stimme, die die Debatte anregen kann.“ Da sie jedoch sehr gerne in kollaborativen Projekten arbeitet, nahm sie jeden einzelnen Schritt des Ausstellungsprojektes, um andere Stimmen hinein zu holen.

Dona Abboud, Entwurf Printmedien Cultural Affairs

Als ein Beispiel dafür nennt sie die Zusammenarbeit mit der syrischen Grafikerin Dona Abboud, deren Entwurf für das Plakat der Ausstellung eine eigene künstlerische Position bezieht. Der Titel „CULTURAL AFFAIRS“ wurde in 63 Sprachen aus aller Welt übersetzt und die jeweils ersten beiden Zeichen des Titelwortes herausgenommen und in ein ornamentales, illustratives Schriftdesign integriert. Dieses Vorgehen hat wieder die beiden Designerinnen des Kataloges beeinflusst und sich auch auf das Ausstellungsdesign niedergeschlagen. „Eine Kette der Inspiration setzte einen Prozess in Gang, den die Ausstellung selbst thematisiert“, freut sich Silvia Gaetti.

Blick in die Ausstellung “Cultural Affairs / Globale Verflechtungen” | Foto: SvGwinner

Sie strukturiert die Ausstellung mit drei Titeln: Unter „Globalen Verflechtungen“ wird das oft erstaunliche Ineinandergreifen von Kulturen anschaulich gemacht, mit Beispielen dafür, wie Materialien, Formen und Gestaltung kulturelle Identität kennzeichnen und ihre Übernahme und Neuinterpretation neue und andere Identitäten ermöglichen. „Transkulturelle Begegnungen“ subsumiert die Spurensuche zu Formen und Begegnungen. Die hier vorgestellten Künstler*innen und Designer*innen leben teilweise in zwei oder mehreren Ländern und sehen sich als Vermittler*innen zwischen ihren vielfältigen Kulturen. Globale Mobilität, kulturelle Identität und der gesellschaftliche Wandel in Projekt-Beispielen mit experimentellem und transkulturellem Ansatz werden unter dem Titel „Die Welt in Bewegung“ thematisiert.

Blick in die Ausstellung “Cultural Affairs / Transkulturelle Begegnungen” | Foto: SvGwinner

Da diese Ausstellung und ihr Begleitprogramm viele Aspekte der politischen Bildung betrifft, suchte Silvia Gaettti die enge Kooperation mit der Bundeszentrale für politische Bildung und ließ sich von migrations- und rassismuserfahrenen Menschen beraten. Es geht ihr darum, auch fremde, beziehungsweise unterschiedliche Perspektiven nachvollziehbar zu machen, mehr von den einzelnen Positionen ausgehend, als es generalistisch anzugehen. In der Ausstellung sprechen die Exponate für sich, begleitet von kurzen Texten und Informationen, die im Katalog, der 45 Positionen umfasst, ergänzt werden.

Blick in die Ausstellung “Cultural Affairs / Die Welt in Bewegung” | Foto: SvGwinner

Die Ausstellung „CULTURAL AFFAIRS“ trifft den Nerv der Zeit und stellt viele Aspekte unseres kulturellen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zusammenlebens auf dieser Welt zur Debatte. Schon unser Vorgespräch zu diesem Blog-Beitrag war in aller Offenheit von leidenschaftlichen Argumenten zu Phänomenen kultureller Aneignung, Migration, Rassismus, Kolonialismus und den Folgen globaler Mobilität, nicht nur der Menschen, sondern eben auch der Kulturen, geprägt. Erst mit dem Wissen um die Zusammenhänge kann man es überhaupt schaffen, Empathie zu entwickeln – doch viele Fragen in diesem kausal verstrickten Netzwerk scheinen unlösbar. Die Ausstellung spiegelt mit Artefakten und Beispielen die Gegenwart und sie verweist auf die Zukunft – über die wir alle gemeinsam unbedingt sprechen sollten.

Die Ausstellung wird durch ein umfangreiches Begleitprogramm ergänzt.