Ausstellung

Porzellandesign um 1930 – die Wende zur modernen Form

Die „Menüfolge“ des Besuches im GRASSI Museum für Angewandte Kunst Leipzig beginnt im Foyer immer mit der Präsentation besonderer Spezialitäten aus den Sammlungen.
In regelmäßigem Wechsel werden dort ausgewählte Objekte, Künstler,Themen und Zusammenhänge in zwei benachbarten Vitrinen vorgestellt. Konzentriert auf kleinem Raum geht es um unterschiedlichste Aspekte historischer oder zeitgenössischer Objektkultur, die in didaktischer Konzentration präsentiert werden. Es lohnt sich immer, für einen Moment dort zu verweilen und zu schauen, um was es genau geht – nicht zuletzt können diese „Horsd’œuvres“ die individuelle Betrachtung in den Museumssammlungen oder Sonderausstellungen inspirieren.

Zur Zeit geht es, anhand beispielhafter Porzellane aus der Sammlung Inge & Wilfried Funke, um die Wende zur modernen Form um das Jahr 1930. Der Keramikfachmann und Kurator Dr. Walter Lokau stellte die Auswahl zusammen und verrät uns im folgenden Beitrag selbst die Hintergründe zu dieser Schau:

“Seit 2012 gibt das Ehepaar Inge und Wilfried Funke seine umfangreiche und vielfältige Sammlung von deutschem und internationalem Gebrauchsdesign des 20. Jahrhunderts in das GRASSI Museum für Angewandte Kunst. Noch immer diesen in nun fast 40 Jahren zusammengetragenen Bestand durch Ankäufe ergänzend, galt das Interesse der Eheleute vornehmlich der „Guten Form“, der sachlich funktionsorientierten und zugleich ästhetisch ansprechenden Gestaltung von Konsumgütern. Selbst einst durch eine Museumsausstellung zum Sammeln angeregt – die 1980 im Badischen Landesmuseum Karlsruhe ausgerichtete Gedenkausstellung für den im Jahr zuvor verstorbenen Designer Heinrich Löffelhardt war initial – ist es für die Schenkgeber nicht anders denkbar, als dass ihre in weiten Bereichen zu musealer Qualität gediehene Sammlung in einen Museumsbestand eingehen sollte.

Einen deutlichen Schwerpunkt innerhalb der Funkeschen Sammlung bildet das Thema des modernen Geschirrs und seiner Entwicklung, was in der aktuellen Vitrinenausstellung an Porzellanservicen in äußerster Verknappung anschaulich gemacht wird. Die ersten drei Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts waren noch bestimmt von üppig dekoriertem, an historischen Vorbildern orientiertem Geschirr. Die Teekanne aus dem Service „Ceres“, 1910 von Theo Schmuz-Baudis für die KPM entworfen, gibt sich formal schon reduziert, trägt aber wie selbstverständlich ihr prunkvoll plastisches, farbiges Jugendstilornament. Um 1930 setzte eine merkliche, wenn auch nicht allgemeine Wende, weil zeitgenössisch als radikal empfundene Formbereinigung ein, die von geometrischen Grundformen ausging und sich bildlich-gefälligen Dekors weitgehend enthielt. Diese Strömung einer sachlichen, von Vorbildern sich lösenden Gestaltungsreform begründete sich mit einer geschichtlich notwendigen, idealistischen Ethik der Gestaltung, die durchaus geschmackserziehend, ja – gesundend wirken wollte.

Als erfolgreichstes und darum wohl prominentestes Beispiel, gleichsam als Angelpunkt dieser Entwicklung gilt das bis heute unverändert produzierte Geschirr „1382“, das Hermann Gretsch 1931 für die Firma Arzberg entworfen hatte und das für dieses bis dahin wenig progressive Unternehmen zu einer Revolution seiner Produktionslinie führte. Doch kurz vor Gretschs Entwurf gab es andere Gestalter, die die Moderne im Geschirr auf die Bahn brachten: Artur Hennig, der seine Entwürfe programmatisch „Reform“ (1928) und „Fortschritt“ (1930) nannte, für die Firma Kaestner-Saxonia, die vom Bauhaus kommende Marguerite Friedlaender mit ihrem Service „Hallesche Form“ für die KPM (1929) oder der Tscheche Ladislav Sutnar, dessen für die Prager Vertriebskooperative Družstevní gestaltetes Service (1929) noch heute überraschend ungealtert zeitlos wirkt. Unmittelbar fortgesetzt wurde gestalterische Moderne von Trude Petri mit ihrem ebenfalls bis heute hergestelltem Service „Urbino“ (1932) für die KPM, zunächst nur als Speiseservice auf den Markt gekommen und erst ab 1947 zu einem Kaffee- und Teeservice erweitert, oder von Wolfgang von Wersin mit seinen Entwürfen „Helios“ und „Lotos“ (beide 1932) für die Nymphenburger Porzellanmanufaktur.

Trotz dem beispiellosen Erfolg von Hermann Gretschs „1382“: Modernes Geschirr hatte es im Verkauf schwer. Keiner dieser frühen Entwürfe wurde in seiner Zeit zum Verkaufsschlager – selbst „1382“ wurde gewinnbringend erst nach fünf Jahren, nicht zuletzt unterstützt von sachgebundenen Ehestandsdarlehen der nationalsozialistischen Regierung. Das von Arzberg als Nachfolgeprodukt gedachte, formal gestrenge Geschirr „1820“, wieder von Gretsch entworfen, wurde am Markt ein kolossaler Mißerfolg. Und auch der Käuferwunsch nach Dekoration erlosch mit der Gestaltungsmoderne nicht: „1382“ (er)trug im Laufe der Jahrzehnte über 840 verschiedene Dekore.

Erst nach dem 2. Weltkrieg erzielte die „Gute Form“, so das Schlagwort der 1950er Jahre, Breitenwirkung, ablesbar etwa an den Entwürfen von Heinrich Löffelhardt, Hermann Gretschs Nachfolger bei Arzberg. Obwohl Design spätestens nach 1970 anderen Prinzipien als der „Guten Form“ folgte, wirkt die gestalterische Moderne der frühen 1930er Jahre nach. Immer wieder erscheinen Neuentwürfe wie späte Echos der „Klassiker“: Formal verwandt erscheinen Löffelhardts „2200“ (1964) für Arzberg und Friedlaenders „Hallesche Form“ oder Michael Siegers „MY CHINA!“ (2008) für die Porzellanmanufaktur Fürstenberg und Sutnars ikonisches Geschirr vom Ende der 1920er Jahre.”

Bis zu 30. September 2018 wird dieser interessante Einblick in die Geschichte des deutschen Porzellandesigns im Foyer des GRASSI Museums für Angewandte Kunst in Leipzig zu sehen sein.