Ausstellung

REKLAME – von der Blechpest zur Sammelleidenschaft

Eine Auswahl von rund 300 Emailschildern aus der Privatsammlung der renommierten Buchgestalter, Plakatentwerfer und Typografen Sonja und Gert Wunderlich und ihrer Tochter, der Kunsthistorikerin Sylke Wunderlich, hängen zur Zeit in der Ausstellung „REKLAME – Verführung in Blech“ im GRASSI Museum für Angewandte Kunst und werben dort – noch vergeblich – um Aufmerksamkeit.

Private Hängung der Sammer | Foto: Sylke Wunderlich

Auch eine unwiderstehliche Verlockung bedeutete das, in einem Container abgelegte, Schild „Fromm‘s Gummischwämme“ (1934) für Sylke Wunderlich, als sie es Ende der 70er Jahre rettete und mit nach Hause brachte. Die Eltern, schon in diversen anderen Sammlerthemen engagiert, protestierten: “Mit dem verrosteten Blech fangen wir nun nicht auch noch an!“ und markierten damit den Auftakt zu einer neuen, gemeinsamen Sammelpassion der ganzen Familie.

Ihre inzwischen circa 700 Schilder umfassende Sammlung liefert einen Blick auf die Produktwerbung zwischen 1890 und den späten 1930er Jahren, aus der Blütezeit dieser besonderen Art von Reklame. Mit einer Haltbarkeit von ca. 100 Jahren beworben, erfreute sich das neue Medium neben Werbeplakaten aus Papier besonderer Beliebtheit.

Ausstellungsansicht GRASSI MAK | Foto: Sylke Wunderlich

Doch letztere, die seinerzeit verbreitet an den Litfaßsäulen prangten, waren nur für 24 Stunden unsterblich, dann wurden sie überklebt. Die robusten, plakativ gestalteten und in der Produktion sehr viel teureren Emailschilder warben dagegen unverwüstlich für Qualitätsprodukte, die das Vertrauen in langlebige Reklame offenbar verdienten. Der industrielle Fortschritt bescherte dem Markt seit dem Ende des 19. Jahrhunderts eine Fülle neuer Produkte, Luxusgüter, Markenwaren, Genussmittel, Kolonial- und Tabakwaren sowie innovative Fabrikate, die umfassend beworben wurden. Viele Marken, „Persil“, „Maggi“, „Dr. Oetker“, „Erdal“ usw. kennen wir bis heute und wir sind auch mit ihrem Markenbild vertraut. Zahlreiche Künstlerateliers und professionelle Werbegrafiker kreierten damals diese Markenbilder als eingängiges Image der Produkte, die unter anderem auf massenhaft produzierten Emailschildern das rasante Wachstum der Warenwelt spiegelten und bald als „Blechpest“ gescholten wurden.

Ausstellungsansicht GRASSI MAK | Foto: Sylke Wunderlich

Bis weit in die Mitte des vergangenen Jahrhunderts gehörte die Reklame auf Emailschildern zum vertrauten Straßenbild. Sie hingen überall, vor allem an den Türen, Außenwänden der Läden, Fahrzeugen sowie an allen mehr oder weniger geeigneten Freiflächen in der Stadt und auf dem Land, wo sie im Laufe der Zeit langsam übersehen und dann vergessen wurden. Doch als man ihrer überdrüssig wurde, schraubte man sie ab, stellte sie weg oder warf sie fort. Erst der Historiker Hellmuth Rademacher sensibilisierte mit seinem 1965 entstandenen Standardwerk „Das deutsche Plakat“ dafür, Werbegrafik auch als historische Quelle und Ausdruck eines Zeitgeistes zu betrachten.

In dem Maße, indem die Emailreklame aus dem Stadtbild verschwand, begann man sich doch wieder dafür zu interessieren. Auch Sylke Wunderlich und ihre Eltern überließen, nach dem erfolgreichen Einstieg in ihr neues Sammelgebiet, nichts dem Zufall. Natürlich konnten sie noch vergessene Schilder einfach von Wänden oder aus Containern bergen. Mit geübtem Auge erkannten sie Schilder, die zweckentfremdet, z. B. in Gärten, praktische Dienste leisteten.

Ausstellungsansicht GRASSI MAK | Foto: Sylke Wunderlich

Was sie selbst als fehlenden Schatz ihrer stetig wachsenden Sammlung entdeckten, wurde ihnen bereitwillig überlassen oder sie mussten jahrelang immer wieder hinfahren und nachfragen bis sie eine glückliche Eroberung vollenden konnten. Sylke Wunderlich schaltete auch Annoncen und erinnert sich, dass sie einmal das Formular der LVZ mit ihrem Gesuch ausfüllte und dabei versehentlich die Rubrik „Leipzig Land“ anstatt „Leipzig Stadt“ angekreuzt hatte. Dieser Irrtum entpuppte sich als Glücksfall, denn so erhielten sie den Hinweis auf „eine ganze Garage voll“, aus der z. B. das bemerkenswerte Werbemotiv für Motorräder von NSU stammt.

Ausstellungsansicht GRASSI MAK | Foto: Sylke Wunderlich

Bis in die frühen 90er Jahre ließ die Familie nichts unversucht und sammelte parallel zur Emailreklame auch kuriose Geschichten, die viel über ihre Passion für diese bunten und grafisch interessanten Zeitzeugen verraten. Doch nach der Wende wuchs die Konkurrenz der Interessenten, die mit den historischen Schildern auch Geschäfte machen wollten, rapide und ließ altruistische Sammler nahezu chancenlos. Sylke Wunderlich veröffentlichte 1991 bei Edition Leipzig ihr Standardwerk „Emailplakate. Ein internationaler historischer Überblick“ mit dem Knorr-Hahn auf dem Cover. Nach jahrelanger Recherche versammelte sie dort alles Wissenswerte über die Gestaltung, Herstellung und Verbreitung dieses so speziellen Werbegenres.

Das  GRASSI Museum für Angewandte Kunst Leipzig legt mit dem Band „REKLAME – Verführung in Blech“ einen, die Sonderausstellung begleitenden, Katalog vor. Doch dieser kann als ein wunderbar gestaltetes und aufschlussreiches Bilderbuch völlig autonom bestehen. Ausgewählte Highlights aus der Schildersammlung der Familie Wunderlich werden hier in ganzseitigen Abbildungen und alphabetischer Reihenfolge vorgestellt. Jedes dieser Emailplakate wird von wertvollen Hintergrundinformationen begleitet, die überraschend unterhaltsam wissenswerte Facetten unserer Wirtschafts-, Sozial- und Kulturgeschichte in seinen Kontext stellen.

Zur Vorbereitung des ersehnten Museumsbesuches eignet sich dieses Buch hervorragend, auch als Geschenk an all jene, die sich für Grafik, Typografie und Gestaltung interessieren, denn die Geschichte und die Geschichten, die sich mit den Emailschildern verbinden, haben genau wie die gestalterische Qualität der Werbeträger bis heute nichts von ihrer Faszination verloren.

Verführung in Blech / Enamelled Seductions

Herausgeber: GRASSI Museum für Angewandte Kunst Leipzig
120 Seiten, 83 farbige Abb.
in deutscher und englischer Sprache
28,5 x 23,5 cm, Festeinband
Erscheinungsdatum 24.10.2020
ISBN 978-3-95498-572-2