Ausstellung

Kairos: Margit Jäschkes Paradiesgarten

Die Orangerie des GRASSI Museums für Angewandte Kunst, in unmittelbarer Nachbarschaft zum verwunschenen Rehgarten, bietet mit ihren großzügigen Dimensionen, als von Tageslicht durchströmter Raum, eine sehr besondere Arena für die unterschiedlichsten Ausstellungen und Projekte. Kuratoren und Künstler inspiriert sie immer wieder aufs neue Licht und Raum als Teil ihrer Inszenierungen zu verstehen und die Besucher beim Heraustreten aus dem magischen Dunkel der großen Ausstellungshalle zu überraschen und zu begeistern. Ein kurzes Innehalten oder Verweilen, dann führen wenige Stufen von der Terrasse, dem Aussichtspunkt über die Totale, hinab auf die Ebene der Präsentation, die zum Flanieren, Betrachten und Entdecken einlädt. Ein wunderbarer Ort, der sich den unterschiedlichsten Ansprüchen kongenial anverwandelt und Künstler, Kuratoren, und insbesondere die Besucher, mit seiner zauberhaften Atmosphäre beglückt und immer aufs Neue staunen lässt.

Kairos – Blick in die Ausstellung Margit Jäschke Orangerie GRASSI MAK | Foto: Künstlerin

Hier also wird aktuell „Kairos“ gefeiert, mit einer Ausstellung der Früchte vieler günstiger Zeitpunkte und entscheidender Augenblicke aus dem künstlerischen Leben und Wirken Margit Jäschkes aus Halle. Ehrlich gesagt, schon das Verweilen in dieser so klug und feinsinnig von der Künstlerin selbst inszenierten Werkschau erscheint mir als „Kairos“ für mich, als Besucherin. Jedes Detail im Raum bekam seinen Platz mit Überlegung zugewiesen. Zum Beispiel die Collagen und Zeichnungen, deren Präsentation an der Gartenwand die geometrische Struktur der Fenstersprossen aufgreift. Der Lauf der hellen Tischflächen in die Tiefe des Raumes, „aufgefangen“ von zwei überdimensionierten, hohen Rahmen, in denen das große Ganze wie das kleine Feine schwebend lockt. Die violette Wandfläche dahinter, die der Weite des Raumes eine klare Grenze setzt, mal dezent geheimnisvoll, mal kräftig strahlend, je nachdem ob ein trüber Morgen oder ein sonniger Nachmittag sein Licht in die Orangerie schickt. Zwei Streichhölzer oben rechts neben dem Ausgang verleihen der Hoffnung Ausdruck, dass der Funke der Begeisterung sich auch bei den Besuchern entzünden möge.

Margit Jäscke: Herbstzeitlose
Foto: SvGwinner

Die Kunst der Anspielung und der Assoziation, gleich ob es um ihre Schmuckstücke oder ihre freien Arbeiten geht – Margit Jäschke beherrscht sie meisterhaft. Anregungen und Inspirationen werden ihr im Alltag, durch Reiseeindrücke, Werke der Anderen, persönliche Begegnungen und eigene Recherchen zugespielt. Sensibel und aufmerksam fängt sie diese als Ideen auf und bewahrt und verwandelt sie in Objekte und Bilder, wobei die Künstlerin dem Spontanen, Affektiven mehr zutraut als den vollmundigen Konzepten. Ihr Atelier, mit dem sie zeitlebens unter einem Dach lebt, damit sie jederzeit, auch nachts um drei, einer Idee nachgehen kann, bezeichnet sie als Umschlagplatz. Materialien und Werkzeuge sowie reale und geistige Fundstücke versammeln sich hier um irgendwann, gleich oder später, Gestalt anzunehmen. Sie spielt mit dem Zufall, lässt gerne Entscheidungen offen, bis ganz zum Schluss, wenn „Kairos“ vorüber huscht und sie ihn beim Schopf zu packen vermag.

Margit Jäschke

Margit Jäschke studierte von 1983 – 1991 in der Schmuckklasse an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle bei Prof. Renate Heintze und Prof. Dorothea Prühl. Nach dem Diplom leitete sie, neben ihrer Berufung als freie Künstlerin, von 1992 – 2001 mit großer Freude eine Klasse für Papierplastik an der Burg. Schon früh sorgten ihre aussergewöhnlichen Schmuckstücke und Collagen für Aufmerksamkeit. Ausstellungsbeteiligungen im Kontext der Burg, die Teilnahme an der GRASSIMESSE und anderen Schauen, Projekte für Kunst am Bau, sowie thematische Kooperationen mit Museen und Galerien zeugen von ihrer Vielseitigkeit als Künstlerin. Letztlich auch die „Sommer-“ und „Winter-Reisen“ zu denen sie Sammler und Freunde alljährlich in ihr Haus und Atelier einlädt.

Der gleichnamige Katalog zur Ausstellung „Kairos“ bietet inspirierende Textbeiträge und eine wunderbare Fotodokumentation der Exponate. Darüber hinaus vermittelt dort die eindrucksvolle Liste ihrer Ausstellungen, Auszeichnungen und Residencies sowie ihre Bibliographie eine Ahnung von der bunten, facettenreichen Spur, die die Künstlerin Margit Jäschke bis hierher schon gelegt hat. „Es ist so eine Fülle,“ sagt sie selbst, „die passt nicht in ein Leben! Doch je älter man wird umso mehr merkt man wie die Fäden zusammen laufen.“

Kairos – Blick in die Ausstellung Margit Jäschke Orangerie GRASSI MAK | Foto: SvGwinner

Und immer wieder fragt sie sich, ob Vielseitigkeit nun ein Vorteil oder Nachteil sei? Aufträge, die sich aus ihren erfolgreichen Beteiligungen an Wettbewerben ergaben, auch aus Arbeitsstipendien und Lehraufträgen, führen sie immer wieder weit über die Grenzen ihres originären Themas Schmuck hinaus. Erfahrungen in anderen Dimensionen, anderen Zusammenhängen, anderen technischen und gestalterischen Erfordernissen bereichern sie und befeuern ihre Neugier und Offenheit.

Kairos – Detail der Ausstellung Margit Jäschke Orangerie GRASSI MAK | Foto: SvGwinner

Schmuck aus Silber, Gold und Edelsteinen gibt es auch bei Margit Jäschke. In echt – doch meistens ist es mehr Schein als Sein. Ihren typischen Farbkanon entwickelt sie selbst als Alchimistin in geheimer Rezeptur aus Kunststoffen, Lacken und Farbpigmenten. Feingoldauflagen lassen auch Well- und Kappa-Pappen kostbar schimmern. Fundstücke finden sich in einem überraschenden Kontext wieder oder dienen als Gussvorlage einem neuen Narrativ. Die Auflistung der verwendeten Materialien liesse sich ad infinitum fortführen, denn letztlich hat alles das Potential als ästhetisch oder synonym erkannt zu werden und damit eine Rolle in einem Objekt oder in einer Collage zugewiesen zu bekommen. Unverkennbar ist Margit Jäschkes künstlerische Handschrift, die unsere Aufmerksamkeit durch überraschende Kombinationen und fragmentarische Andeutungen weckt. Natürlich auch durch ihre Farben, satt, strahlend, opak, transparent, lasiert, glänzend, durch ihre Oberflächen, matt, rauh, porös, strukturiert, übergossen, poliert, blank und hin und wieder durch den funkelnden Schliff edler Steine akzentuiert. Die Aura ihrer Schmuckstücke reflektiert die Sehnsucht nach Schönheit und wird zum ästhetischen Manifest der Künstlerin wie der TrägerIn, offen für individuelle Interpretationen.

Kairos – Detail der Ausstellung Margit Jäschke Orangerie GRASSI MAK | Foto: SvGwinner

Der Paradiesgarten – den die Künstlerin metaphorisch in ein, mit einem schief gesetzten goldenen Drahtzäunchen eingehegtes grünes Sechseck übersetzt – ist auch in der Ausstellung zu finden. Doch genau genommen, ist die gesamte Präsentation ein Paradiesgarten, in dem Margit Jäschke ihre fantasievollen Transformationen der bits und pieces ihrer, aber eben auch unserer Welt, als ein intuitiv geordnetes Universum inszeniert. Die Exposition der Objekte, vereinzelt, in Reihen oder in Gruppen, lässt sich wahlweise wie ein Bilderbuch, ein Album, eine Enzyklopädie „lesen“. Es stellen sich Fragen, es gibt manchmal auch Antworten, einiges scheint auf realen oder gemalten kleinen Podesten davon zu fliegen oder im Landeanflug. Im Reich der Ideen von Margit Jäschke verwirbeln Gewißheiten zu rätselhaften Narrativen und eigenwilligen Kompositionen – und verführen zu eigenen Gedankenspielen.

KAIROS – Margit Jäschke. Schmuck Objekt Installation

bis 25.09.2022 im GRASSI Museum für Angewandte Kunst, Johannisplatz, 04103 Leipzig

Katalog: Susanne Altmann / Karl Bollmann MARGIT JÄSCHKE | Kairos

160 Seiten | 20 x 28 cm, 132 Abb., Steifbroschur | Deutsch / Englisch

arnoldsche Verlagsanstalt Stuttgart