Seit der Sommersonnenwende zieht einen neue Ausstellung im GRASSI Museum für Angewandte Kunst die Besucher an wie die Motten das Licht. Ich spreche mit der Kuratorin Sabine Epple über ihre Konzeptfindung, zum Anlass der 200 Jahre Fahrradgeburtstag?
„Der hat bei der Themenfindung überhaupt keine Rolle gespielt,“ wendet Sabine Epple ein. „Ich komme eher auf Ideen, die etwas mit mir, mit meinem persönlichen Umfeld zu tun haben. Nach dem Motto, wenn es mich interessiert könnte es auch andere interessieren. Das klingt vielleicht überheblich, aber es ist so.“ stellt sie fest. „Ich war niemals Rad-Experte und bin es auch heute noch nicht. Aber das Fahrradfahren an sich, ich fahre ja jeden Tag mit dem Rad zur Arbeit, das interessiert mich. Und ich beobachte was auf der Strasse passiert. Es tauchen in letzter Zeit Räder auf, die hat man vor einigen Jahren noch nicht gesehen. Besonders augenfällig zum Beispiel die Fixies oder Lastenräder. Und dann fängt man an, sich um das Thema zu kümmern und findet eine Fülle von Informationen. Man kommt über die vielen verschiedenen Fahrradtypen und Modelle zur Mode, zum Zubehör, zur Sicherheitstechnik usw.“ zählt sie auf.
„Doch wie kann man aus der großen Fülle etwas herausfiltern, das im Kleinen Sinn ergibt?“ Sabine Epple hält inne: „Wieder meine Art der Annäherung, das Allgemeine, das Volkstümliche am Fahrrad zu suchen. Wo kann man das am besten beobachten? Diese neuen Fahrradtypen begegnen einem vor allem in der Stadt. Also lag es nahe das Rad im Kontext mit dem urbanen Umfeld zu betrachten und seinen Einfluss darauf zu untersuchen. Wie wirkt sich diese Form individueller Mobilität auf die Entstehung neuer Verkehrskonzepte aus?“
Die Antwort der Inszenierung zum Auftakt der Schau ist sinnfällig. Sie spiegelt den Stadtraum mit einer Litfaßsäule, an der sich laufend neue Informationen zum Thema Fahrrad sammeln, und einer großflächigen Projektion von Szenen aus dem Leipziger Stadtverkehr. Mit einer Verkehrsinfo-Stehle, einer Station für Mieträder und einer Gruppe „Leipziger Bügel“: der Besucher kommt dahin wo er gerade herkommt! “Ohne zu didaktisch zu werden, ist der Übergang eher fliessend“ sagt Sabine Epple, „und schon ist man mitten drin“.
„Es ging darum einen großen thematischen Bogen zu spannen und für alle Leute das Thema Fahrradfahren attraktiv zu machen. Doch da musste man erst einmal hin kommen: Oh Gott, die Technik! Wie bekomme ich das in eine Maske? Wie kann ich das vereinheitlichen? Bis man dann einfach an den Punkt kommt zurück zu gehen: den roten Faden anhand dieser sieben Themen weiter zu spinnen: Stadtraum, Pendeln, Transportieren, das Fahrrad für alle, Radkult- Kultrad,Fahrradkunst und mit dem Fahrrad in die Zukunft. Das Eine verweist auf’s nächste und es werden so immer wieder andere, verschiedene Aspekte angesprochen.“
Wie ist die erste Resonanz des Publikums?
Sabine Epple strahlt: „Am Wochenende war es rappelvoll! Viele Menschen die wir nicht oft im Museum sehen. Man merkte, dass sie da keine Erfahrung haben, denn sie verwechseln die Ausstellung mit einer Messe, müssen alles anfassen. Am liebsten würden sie die Räder gleich ausprobieren und runter nehmen, zum Beispiel um zu fühlen wie leicht ein 1,6 kg Titan-Rahmen ist. Das Thema ist so nah dran, dass die meisten kein Verständnis für die Museumssituation haben“ staunt sie und gibt zu bedenken: „wir müssen doch den Firmen die ausgeliehenen Räder unversehrt zurückgeben,“ und lacht dann: „es ist wie ein Streichelzoo für Fahrräder!“
Doch diese Reaktionen bestätigen sie ganz klar, dass sie mit den „Bikes!“ thematisch ins Schwarze getroffen hat. Hier können sich die Besucher inspirieren und sich von den vielschichtigen Aspekten rund um’s Fahrradfahren anregen lassen – die Entwicklungen in diesem Kontext weisen eindeutig in die Zukunft.
Nachdenklichkeit über die Benutzung eines Rades oder den Einsatz eines Lasten-Fahrrades anstatt des Autos zu stiften oder die Frage des Besitzes und des Teilens aufzuwerfen würde der Kuratorin natürlich auch gut gefallen. „Der Stadtraum ist der Ort wo es passiert – das kann man nur schlaglichtartig im Museum darstellen. Wir haben über ein Jahr lang Material gesammelt und für die Monitore aufbereitet. Hier können die Besucher sehen, wie friedlich das Nebeneinander des Rad- und Autoverkehrs z.B. in Amsterdam ist. Deutschland ist dagegen ein autoverliebtes HighTech-Land!“ Sie gibt zu bedenken: “die Politik muss sich für eine fahrradfreundliche Stadt einsetzen und gleichzeitig nett zu den großen Autoherstellern sein, die aus wirtschaftlicher Sicht so wichtig für die Stadt sind. Eine undankbare Aufgabe es allen recht machen zu müssen. Aber das eine schliesst ja das andere nicht aus, wie man an Amsterdam oder Kopenhagen sieht.“
Es wird so viel über das selbst fahrende Auto gesprochen – was wird diese Zukunft für das Fahrradfahren bringen?
„Für die Fahrradfahrer wird es auf jeden Fall sicherer“ ist Sabine Epple überzeugt, „ Das Auto hält dann automatisch Abstand, besser als der Mensch, der beeinträchtigt durch jede Menge Ablenkung das manchmal nicht hin bekommt. Der Spassfaktor am Fahrrad ist, dass man es mit eigener Muskelkraft betreiben kann. Die individuellen Möglichkeiten in Bezug auf die Ausstattung und den Bewegungsradius im Gegensatz zum Auto, das ist die große Chance für das Fahrrad.“
Haben Sie ein Lieblingsbike in Ihrer Ausstellung?
„Ich habe verschiedene! Ich persönlich hätte auch gerne ein Lastenrad, nicht so groß, aber mit Platz für eine Wasserkiste oder ein Kartönchen. Meine Probefahrt mit dem Long John war etwas wacklig. Ein wendiges Lastenrad von Biomega (DK) wäre mein Favorit. Mit seiner skurrilen, extravaganten Form hat es den Designfaktor, der mir sehr gut gefällt. Das Optische passt mit dem fahrradtechnischen Anspruch zusammen. Das andere Lieblingsbike wäre das Rad von Paul Budnitz aus den USA – mit blankem Titanrahmen! Schade, dass die Herrenfahrräder immer schicker sind als die Damenfahrräder.“ Wir stellen fest, dass der Trend deutlich zum Zweitfahrrad geht: „ Ein Ausgehfahrrad und ein Alltagsfahrrad, und wenn das zu teuer wird kann man es teilen!“ Sabine Epple lacht:“ Ich fahre zur Zeit auch das Zweitfahrrad meines Mannes auf.“
Welche Innovationen imponieren Ihnen am meisten?
„Elektromodule, mit denen man ein normales Fahrrad zum E-Bike aufrüsten kann ohne gleich ein ganz neues Fahrrad kaufen zu müssen. Wir habe Beispiele dafür in der Ausstellung, z.B. das Copenhagen Wheel das als Hinterrad montiert wird oder der Steckantrieb „RELO“ , der sich an fast jede Rahmengeometrie andocken lässt,“ begeistern sie. “Und dann noch eine ganz andere Richtung, nämlich das Bambusrad. Hier ist der Designfaktor vielleicht nicht so innovativ aber die Idee, nachwachsende Rohstoffe für den Bau von Fahrrädern einzusetzen halte ich für sehr zukunftsfähig. Das Geschäftsmodell des Bambusfahrrads gefällt mir darüber hinaus besonders gut. Ein Kieler Fahrradbauer arbeitet zusammen mit einem Kleinbetrieb in Ghana. Der baut die Rahmen und in Kiel werden diese veredelt und verkehrssicher gemacht. Die Zusammenarbeit gelingt auf Augenhöhe, mit fairer Bezahlung. Ich finde es gut solch einen Ansatz zu zeigen!“
„Bikes! Das Fahrrad neu erfinden“ mit ca. 60 Fahrradmodellen und jeder Menge Anregungen kann man noch bis zum 1.Oktober 2017 im Leipziger GRASSI-Museum für Angewandte Kunst besuchen. Dazu erschien ein gleichnamiges Begleitbuch im Hirmer Verlag München (192 Seiten, Euro 29,90) mit vielen sehr lesenswerten Beiträgen über die Zukunft – die des Fahrrades und unserer!
Bikes! Das Fahrrad neu erfinden
Ausstellung vom 22.6. – 1.10.2017
GRASSI Museum für Angewandte Kunst
Johannisplatz 5-11, 04103 Leipzig,
Öffnungszeiten: Di – So, Feiertage 10 – 18 Uhr, Mo geschlossen
Das attraktive Veranstaltungsprogramm zur Ausstellung: Ausstellungsflyer als PDF