Zum Jahresbeginn laden alle größeren Museen die Medienvertreter zur Jahrespressekonferenz ein. Das GRASSI Museum für Angewandte Kunst in Leipzig begrüßte die Journalisten zu diesem Anlass inmitten der Ständigen Ausstellung „Antike bis Historismus“. Direktor Dr. Olaf Thormann und seine Stellvertreterin Anett Lamprecht boten den Anwesenden eine brillante Rückschau auf das Jahr 2017 und einen vielversprechenden Ausblick auf das kommende Jahr 2018/2019.
Mit berechtigtem Stolz verweist das Museum auf den kostbaren Inhalt seiner Depots, der nicht nur bewahrt werden will, sondern auch zu Forschungen und Ausstellungen inspiriert. Obwohl das Museum ohne regulären Ankaufsetat auskommen muss gab es einen Sammlungszuwachs von 2095 Positionen im vergangenen Jahr (zum Vergleich: 682 vor fünf Jahren in 2013). Wie es dazu kam sei hier in wenigen Beispielen erläutert: Ganze Sammlungen fielen dem Museum zu, wie die Schenkung Heribert Meurer an frühchinesischer Keramik, die das GRASSI Museum für Angewandte Kunst auf einen Schlag in die erste Liga unter den Häusern mit vergleichbaren Kollektionen katapultierte. Eine zauberhafte Ausstellung dieser Schätze in der Pfeilerhalle, sowie deren Aufbereitung in einem ansehnlichen Bestandskatalog, beglückte die Besucher 2017.
Mit mäzenatischer Unterstützung des Ankaufs einer Silberdose von Rudolf Bott konnte sich das Haus eine Spitzenposition zeitgenössischer, internationaler Silberschmiedekunst sichern. Aktuell bittet das Museum um die Unterstützung des Kaufs der “Figur eines Chinesen”, die sich ideal in das Essemble des spektakulär neu gestalteten Chinoiserie-Raums einfügt. Der großzügige Beistand des Freundeskreises des GRASSI Museums für Angewandte Kunst ermöglichte auch 2017 wertvolle Ankäufe auf der GRASSIMESSE. Die Überlassung ihrer herausragenden Sammlung dänischen Designs des Sammlerpaares Inge und Wilfried Funke bedeutete die Verdoppelung der hauseigenen Bestände und legt die projektierte Ausstellung „MADE IN DENMARK – Formgestaltung seit 1900“ vom 2. Juni bis 7. Oktober 2018 nahe. Weitere Sammlungen und Objekte wurden auf der Konferenz vorgestellt, die mit Hilfe großzügiger Gönner angekauft werden konnten.
Im Rückblick auf das Jahr 2017 fielen eindrucksvolle Zahlen: knapp 80.000 Besucher fanden sich im GRASSI Museum für Angewandte Kunst in Leipzig ein, 9% mehr als im vergangenen Jahr. Drei Viertel dieser Besucher waren keine Leipziger, 11 % kamen sogar aus dem Ausland. Das GRASSI ist führend unter den Museen der Stadt für die man extra anreist – Aufenthaltsdauer im Schnitt circa 2,5 Stunden. Ein Drittel der Gäste verlockte eine der 758 Veranstaltungen ins Museum zu kommen, darunter der Tag der offenen Tür, die Museumsnacht, der Keramikmarkt und das Grassifest, aber auch Eröffnungen, Führungen, Vorträge, Workshops. Das museumspädagogische Programm lockte viele Kinder und Jugendliche, in Gruppen oder mit ihren Familien – sie machten 18% der gesamten Besucherzahl aus. Noch eindrucksvoller nehmen sich diese Zahlen aus, wenn man weiß, dass hinter dem anspruchsvollen Programm-Angebot exakt 24,25 Personalstellen stehen.
Auch der Bericht über vielfältige Kooperationen mit Hochschulen, Instituten und anderen Museen, über wissenschaftliche Forschungs- und Restaurierungsprojekte sowie über die intensive Auseinandersetzung mit den Visionen für eine attraktive Zukunft des Museums ist beeindruckend und zeugt von großem Engagement. Doch können sich die Ansprüche einer wachsenden Stadt auch zukünftig in den Leistungen seiner Kultureinrichtungen widerspiegeln, wenn diese so kurz gehalten werden?
Das Ausstellungs- und Veranstaltungsprogramm des GRASSI Museums für Angewandte Kunst in Leipzig für 2018 lässt dennoch keinen Zweifel an seinen Ansprüchen aufkommen! Zehn Sonderausstellungen stehen auf dem Programm, laufen bereits oder sind avisiert.
Darunter ist „CAROLEIN SMIT – l’amour fou“, eine Schau der aktuell international begehrtesten und hochbezahltesten Keramik-Künstlerin vom 2. Juni bis 30. September in der Orangerie, nahezu zeitgleich zu parallelen Präsentationen im britischen Victoria & Albert Museum London und dem niederländischen Drents Museum, Assen. Ein Totentanz-Relief kreiert die Künstlerin exklusiv für die Leipziger Schau – an der 400 Seiten starken Publikation partizipieren alle drei Häuser.
„MADE IN DENMARK“ wird vom 2. Juni bis 7.Oktober 2018 die Aufmerksamkeit auf das langjährige Interesse Leipzigs an dänischem Design lenken, das schon mit den ersten Ankäufen 1873 auf der Wiener, 1900 auf der Pariser Weltausstellung den Kollektionsbestand begründete und diesen in der jüngeren Vergangenheit durch die Schenkungen der Sammlungen Lafrenz, Ströh und Wachs auf 900 Stücke verdoppelte. So kann die Entwicklung des populären dänischen Designs in der projektierten Schau des GRASSI Museums für Angewandte Kunst zweifellos auf einzigartige Weise dokumentiert werden.
Unter den vielen Ankündigungen fällt die Übernahme der Ausstellung „TOGETHER – Die Neue Architektur der Gemeinschaft“ des Vitra Design Museums vom 29.11.2018 bis 17.03.2019 besonders ins Gewicht. Das Thema „wachsende Stadt“ scheint derzeit geradezu synonym für Leipzig zu sein. Umso relevanter ist es, dieses in ganz aktuellen und konkreten Entwicklungen, in zukunftsorientierten Visionen zu spiegeln. Die Ausstellung zeigt ihren Einfluss auf die Art und Weise, in der Bewohner und Architekten heute gemeinsam neue Formen des Zusammenlebens entwickeln – nicht als ein Produkt rein individueller Bedürfnisse, sondern als eine Antwort auf eine zentrale Frage unserer Zeit: Wie wollen wir in der Zukunft miteinander wohnen?
Das GRASSI Museum für Angewandte Kunst wird damit nicht nur zu einem Ort der Reflexion sondern auch der Visionen. Und knüpft zeitgleich mit der Präsentation „GRASSI FUTURE. Visionen für den Leipziger Johannisplatz“ in eigener Sache daran an. Masterarbeiten von 25 Studierenden des Lehrstuhls Baukonstruktion (Prof. Ansgar und Benedikt Schulz) der Fakultät für Architektur und Bauingenieurwesen der TU Dortmund, untersuchen eine denkbare Erweiterung des Museums auf dem Areal des Johannisplatzes. Sie liefern mit ihren Beiträgen Anknüpfungspunkte, über die zukünftige Entwicklung des Areals zwischen Innenstadt und Museum langfristig und qualifiziert nachzudenken, denn 2024 werden das GRASSI Museum für Angewandte Kunst und das Museum für Völkerkunde zu Leipzig das 150. Jubiläum ihrer Eröffnung begehen. 2029 folgt die 100. Wiederkehr der Vollendung des Museumsneubaus am Johannisplatz. Grund genug über die Zukunftsfähigkeit des Museums, Visionen für dieses als Wohlfühl- und Erlebnisort, als Ort des lebendigen gesellschaftlichen Diskurses, laut nachzudenken.
Die Dominanz der Zukunftsthemen zeigt sich aber auch im Museumsalltag, wie auf der Konferenz eindrucksvoll dargestellt wurde. In dem beispielhaften Angebot für Schüler im Museum. Oder in der sukzessiven Vitalisierung der Museumsbestände online auf https://www.museum-digital.de/ .
Oder in der schrittweisen Planung und Realisierung einer kompletten Umrüstung des Beleuchtungskonzeptes auf LED Technologie, die bei ihrer Vollendung zu 70% Energieersparnis führen wird. Und in vielen anderen Bereichen, Kooperationen und Projekten.
Auf dieser Jahrespressekonferenz wurde für alle überdeutlich, dass man das GRASSI Museum für Angewandte Kunst durchaus als Inkubator und als Laboratorium verstehen kann. Dort destilliert man aus überkommenen historischen und kulturellen Artefakten unserer Gesellschaft Inspirationen und Visionen für die Zukunft unserer Gesellschaft – ein spannendes Unterfangen. Wir sollten seinen Angeboten größte Aufmerksamkeit schenken.