Als Giorgio Silzer (1920–2014), vormals erster Geiger der Deutschen Oper Berlin, Instrument und Bogen mit seinem sechszigsten Lebensjahr aus der Hand legte, konnte er endlich ganz und gar seiner zweiten großen Leidenschaft nachgehen – Kunst zu jagen, wie er sagte, wurde zu seinem Lebenselexier.
Die aktuelle Foyerausstellung im GRASSI Museum für Angewandte Kunst Leipzig erinnert anlässlich seines 100. Geburtstages mit einer Präsentation erlesener Objekte an diesen Vollblutsammler mit besonderem Faible für internationalen Jugendstil und Art déco. Ich traf mich aus diesem Anlass mit Museumsleiter Dr. Olaf Thormann, der selbst über viele Jahre eine inspirierende Verbindung mit Giorgio Silzer pflegte und mit großer Empathie von ihm als außergewöhnlicher Persönlichkeit berichtete.
Der Musiker stammte aus einer jüdischen Emigrantenfamilie aus Galizien, die ihren Lebensmittelpunkt im Tessin gefunden hatte. Er selbst zog nach seinem Rückzug aus dem Musikerleben von Berlin nach Hannover, später in die Nähe von Aurich. Er liebte schnelle Autos, kannte „Gott und die Welt“ und war meistens auf Reisen. Viele gute Kontakte bewährten sich für ihn auf der Suche und beim Erwerb auch größerer Sammlungskonvolute, die er manchmal auch en gros zu Paketpreisen erwarb. Gleichzeitig baute er seine Sammlungen umsichtig und sehr geschäftstüchtig auf. Er schichtete sie klug um und wendete trickreiche Methoden an, um verschiedene Kollektionen, die Keramik, Glas und Zinn, Bestecke, Silber und Mobiliar umfassen, zu vertiefen und neu ordnen zu können.
Er lebte nicht mit seinen Sammlungen, sondern lagerte, verkaufte und verschenkte sie an mehrere deutsche Museen. Vor allem interessierte ihn Vollständigkeit auf einem hohen Qualitätsniveau. Alle bedeutenden Manufakturen von Berlin, Wien, St. Petersburg bis Nancy und Sèvres sind repräsentiert, mit ihnen renommierte Gestalter der Zeit, unter diesen Peter Behrens, Joseph Maria Olbrich, Henry van de Velde und Carl Fabergé ebenso wie Émile Gallé.
Frau Dr. Eva Maria Hoyer, damals Leiterin des GRASSI Museums für Angewandte Kunst, und Dr. Thormann lernten Giorgio Silzer 1994 kennen. Damals befand man sich noch in einer Phase der Hoffnung auf ein neues Haus und eine neue Dauerausstellung. Die Dimensionen waren noch unklar, man musste sich erst hinein fühlen und denken. Giorgio Silzer bot dem Museum eine großartige Sammlung an. Die Ausstellung “Erlesenes aus Jugendstil und Art déco”, vom 14. Mai bis 5. Oktober 1997 ermöglichte, ergänzt durch einen prachtvollen Katalog, einen ersten großen Überblick über seine Schätze. Zur Eröffnung konzertierte der emeritierte Geiger sogar noch einmal.
1999, im 125. Jubiläumsjahr des Museums suchte man nach ergänzenden Stücken für die Sammlung – wieder gemeinsam mit Giorgio Silzer. Viele Freunde beteiligten sich an ca. 60–70 Ankäufen aus diesem Anlass und Frau Dr. Hoyer stellte weitere Förderanträge. Giorgio Silzer sprach nun direkt den damaligen (1998 bis 2005) Leipziger Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee an und erreichte in seinen Verhandlungen, dass die Stadt Leipzig 1/3 seiner Sammlung im Rahmen eines Ratenkaufvertrages erwarb – 2/3 der Sammlung kamen darüber hinaus als Schenkung nach Leipzig, die später noch durch ein Schmuck-Konvolut und andere wertvolle Gaben auf rund 3.000 Objekte ergänzt wurde.
Insgesamt sorgte Giorgio Silzer für eine fantastische Bereicherung der Museumsbestände. In der Ständigen Ausstellung des Museums “Jugendstil bis Gegenwart” stößt man immer wieder auf ganz besondere Schätze aus der Sammlung dieses großzügigen Gönners.
Durch seine Aktivitäten ermöglichte er viele wertvolle Kontakte und beförderte Entwicklungen. Charmant, redegewandt und kenntnisreich erwies er sich als idealer Partner. Mit der Zeit entwickelte er ein gutes Gefühl für die Autorenschaften in den heterogenen Erscheinungsformen des europäischen Jugendstils. Er kannte seine Stücke, lebte aber nicht mit ihrer Kategorisierung, sondern strebte immer die ganze Bandbreite der Ausdrucksformen an. Getrieben von einem unbändigen Optimierungsgedanken, Kunst auf unterschiedlichen Ebenen, spartenübergreifend und international zu sammeln. Seine Präferenz galt dabei jenen Entwürfen, die sich in ihrer individuellen Handschrift von anonymen Massenprodukten unterscheiden. Seine Aufarbeitung des Jugendstils und Art déco ist eine Pionierleistung und er gab darüber hinaus viele Anstöße in die Forschung zu investieren.
GRASSI Museum für Angewandte Kunst
Johannisplatz 5–11
04103 Leipzig
Öffnungszeiten: Di–So, Feiertage: 10–18 Uhr
Mo und am 24.12. und 31.12. geschlossen
Freier Eintritt an jedem ersten Mittwoch im Monat