Mit viel Glück konnte die GRASSIMESSE 2020 zu ihrem hundertjährigen Jubiläum tatsächlich stattfinden! Im Rückblick kommt einem diese Tatsache als ein großes Geschenk vor, da nun wieder alle Museen vom Lockdown zur Eindämmung der Pandemie betroffen sind. Einig waren sich Aussteller wie Publikum darin, dass es wieder mal eine der schönsten GRASSIMESSEN gewesen sei – nach langer Entbehrung die erste Messe für angewandte Kunst mit beeindruckendem Niveau. Dieses wurde noch durch das neue Präsentationskonzept gesteigert, zu dem Kuratorin Sabine Epple aufgrund der geltenden Abstandsregeln gefunden hatte. Kurzerhand bezog sie die gesamte Fläche der Ständigen Ausstellung Antike bis Historismus in die Präsentation der aktuellen Zeitgenossen mit ein und stellte inspirierende Bezüge zwischen den musealen Exponaten und modernen Objekten her. Andreas Platthaus wünscht sich im Feuilleton der FAZ: “Die Grassimesse wurde also diesmal nicht nur bei der Auswahl der Teilnehmer kuratiert, sondern auch bei deren Platzierung. So wird neues Kunsthandwerk in der Wahrnehmung zu Museumskunst, hoffentlich wird diese Not in besseren Zeiten zur Dauerlösung.“
Da die Preisverleihung, sonst ein überfülltes Jubel-Ereignis im Foyer des Museums, in diesem Jahr – Corona geschuldet – nahezu unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand, sollen hier noch einmal alle Preisträger ausführlich gewürdigt werden, die auch in diesem Jahr von einer hochkarätigen Jury ausgewiesener Fachleute gekürt wurden.
Der mit 3.000 € dotierte „Grassipreis der Carl und Anneliese Goerdeler-Stiftung“ geht an den Bremer Möbelgestalter Martin Wilmes (*1970). Die Jury begründete ihre Wahl folgendermaßen:
“In seinen modernen Kabinettschränken verbindet Martin Wilmes Handwerkstradition mit einer zeitgemäßen Formsprache. Durch die farbig gestalteten Flächen entfalten sich die Möbel im Raum und überraschen mit ihrer ästhetischen Wandelbarkeit. Ausschlaggebend für die Entscheidung der Jury war vor allem der multifunktionale Charakter – die Schränke passen sowohl in kleine Kinderzimmer, wirken aber auch als Skulptur im Raum.
Dadurch sind die zeitlosen Unikate sowohl im Material, als auch im Nutzen nachhaltig und passen sich den individuellen Bedürfnissen der Nutzer und den sich verändernden Wohnverhältnissen an. Martin Wilmes gelingt es, mit seinen formal und technisch auf das Wesentliche reduzierten Stücken, das selten gewordene Handwerk in eine moderne Tradition zu überführen. Durch ihre allseitige Ansichtigkeit bestechen die Möbel durch eine architektonisch-objekthafte Anmutung.”
Den mit 2.000 € dotierten „Grassipreis der Sparkasse Leipzig“ erhält der Glaskünstler Cornelius Réer (*1961) aus Nürnberg, mit diesen Argumenten der Jury: “Außerordentlich einfallsreich besetzt Cornelius Reér das Feld zwischen Design und Glaskunst. Denn seine in kleinen Serien produzierten Objekte vereint ein charakteristischer Aspekt: Der Gedanke hin zum nutzbaren Objekt. Haptische Details, wie Mundrand und Griff, haben sich für den täglichen Gebrauch bewährt.
Aber die Glasgefäße sind auch Dekorationsobjekte: In den mehrteilig angelegten Unikaten kommt das Spiel mit Farbdurchdringungen besonders zum Tragen. Die Entscheidung, welches Element aktiv oder passiv wirkt, überlässt Herr Reér jedoch den Nutzerinnen und Nutzern.”
Der mit 1.000 € ausgelobte „Apolline-Preis“ geht an das junge Atelier SOOBO in Dießen am Ammersee, an die zwei aus Südkorea stammenden Porzellangestalter Bokyung Kim (*1986) und Minsoo Lee (*1980). Die Entscheidung der Jury:
“Das Ehepaar Bokyung Kim und Minsoo Lee gründeten ihr Atelier SOOBO erst 2018. Die beiden knüpfen in ihren Arbeiten an die uralte Tradition koreanischer Keramik an, für die sie eine zeitgemäße Formensprache entwickelt haben: ihr Geschirr und ihre Objekte sind minimalistisch und kunstfertig zugleich. Es sind Meisterwerke von unglaublich sinnlicher Raffinesse. Die zarten und weich anmutenden Oberflächen verführen zum Berühren. Dabei verbindet das Duo stets die hohe Kunst der Verarbeitung mit einer täglichen Nutzbarkeit.
Die Perfektion im Handwerk ist beiden zu eigen: Die Arbeiten von Bokyung Kim entstehen ausschließlich in Drehtechnik. Charakteristisch für ihre Objekte sind markante Liniendekore, deren kontrastierende Farbstreifen das pure Weiß des Porzellans strukturieren.
Minsoo Lee arbeitet sowohl mit Gieß- als auch mit Drehtechniken. So hat er seine eigene Formensprache entwickelt: von feinen, farbigen Linien sind die Oberflächen durchzogen. Fast unglaublich, dass die Gefäße in reiner Handarbeit an der Töpferscheibe entstehen. Schicht für Schicht trägt er zwischen weißem Porzellan hauchdünne farbige Schlickerfilme auf.”
Den mit 1.000 € dotierten „Preis der Grassifreunde“ erhält der Schmuckgestalter Christoph Straube (*1971) aus Nürnberg. Er überzeugte die Jury mit seinem modern anmutenden Schmuck.
“Christoph Straube spielt mit Überraschungen: Sein Schmuck aus Emaille umgeht die für gewöhnlich flächige und schablonenhafte Farbgebung des Materials. Durch seine Neuinterpretation von klassischer Emaille-Malerei haben die Ketten und Broschen eine architektonische Anmutung, ohne räumlich zu sein. Damit bewegt sich seine Illusion von Dreidimensionalität erzählerisch zwischen Raum und Fläche. Historisches Handwerk verbinden sich bei ihm mit einer zeitgemäßen Form.”
Zusätzlich wird an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle der „GRASSI Nachwuchspreis der Firma culturtraeger“ verliehen. Er geht in diesem Jahr an Verena Zimmermann für ihr Bilderbuch „Zwei Ameisen auf Reisen“. Verena Zimmermann hat sich eine Aufgabe gesucht, die viel zu selten angegangen wird obwohl der Bedarf enorm ist: Taktile Bilderbücher für blinde und seheingeschränkte Kinder.
Damit können auch diese Kinder mit Büchern aufwachsen, Geschichten erfahren und in andere Welten eintauchen. In Verena Zimmermann Buch dürfen sie mit den Fingern Materialien von hart bis flauschig erfühlen, die Formen begreifen und interaktive Spielelemente einsetzen. Das Buch „Zwei Ameisen auf Reisen“ ist jedoch ein Lesespaß für alle, denn die kurzen Gedichte von Ringelnatz bis Janosch sind in großen Lettern geschrieben, die zusätzlich in Brailleschrift übersetzt sind. Dies alles ergibt zusammengefügt ein Buch, das den Inhalt sinnlich wie ästhetisch überzeugend in Einklang bringt.
Darüber hinaus wurde erstmalig ein Ehrenpreis zuerkannt, der das Lebenswerk der Gold- und Silberschmiede Ulla & Martin Kaufmann würdigt. Wir widmen diesem in Kürze einen eigenen Blogbeitrag.
Auch dieses Jahr erwarb das Museum auf der GRASSIMESSE, unterstützt von den generösen Geldspenden aus dem Freundeskreis des GRASSI Museums für Angewandte Kunst, besonders aussagekräftige Stücke. Sie sollen für die künftigen Generationen einen unverwechselbaren Ausschnitt zeitgenössischer Gestaltung dokumentieren und umfassen natürlich auch herausragende Objekte der alljährlichen Preisträger.