Sieben Hochschulklassen präsentieren in diesem Jahr auf der GRASSIMESSE ihre neuesten Arbeiten, Forschungen und Experimente. Die gemeinsame Klammer bildet ihr Anspruch von Nachhaltigkeit. Dieser so viel bemühte Begriff wird sich zur aktuellen Messe im Museum als zündender Inspirationsfunke für unglaublich vielfältige Ideen und Annäherungen der jungen Gestalter*innen- und Designer*innen-Generation erweisen. Das Cross-over handwerklicher Disziplinen mit High-Tech-Methoden, klassischer und innovativer Materialien sowie unterschiedlichster konzeptioneller Ansätze, ermöglicht erstaunliche Einsichten.
Selten bietet eine Publikumsmesse den innovativen Arbeits- und Entwicklungsprozessen eine derartige Bühne und damit den Besuchenden die großartige Gelegenheit, in die Wiege möglicher Produktentwicklungen oder gar Game-changern für das Design der Zukunft zu schauen. Basis hierfür sind die aufmerksam gepflegten Kooperationen und Netzwerke des GRASSI Museums für Angewandte Kunst mit den Hochschulen. Während der Messe vermittelt das Programm „University Insights“ in täglich stattfindenden Informationsgesprächen Hintergrundwissen und ermutigt die Besuchenden zum Austausch mit den Studierenden und ihren Professor*innen.
An der Universität der Künste Berlin (UDK) entstand 2021 die Master-Abschlussarbeit „New Sources“ von Matthias Gschwendtner. Prof. Axel Kufus, der auch der diesjährigen Jury zur GRASSIMESSE angehört, vermittelte deren Präsentation. Sie wird in der Pfeilerhalle des Museums eindrucksvoll dokumentieren, wie die Verknüpfung klassischer und innovativer Technologien im Angesicht der klimatischen Zeitenwende zu überraschenden Lösungen führt.
„Der weltweite Verbrauch von Holzprodukten, seit Anfang 1960 um 70% gestiegen, wird sich bis 2030 verdoppeln. Schwere Stürme, Waldbrände und Dürreperioden nehmen ebenfalls exponentiell zu. Um unsere Wälder zu retten, brauchen wir neue Ansätze.“ Matthias Gschwendtner untersucht in„New Sources“ die Herstellung nachhaltiger Produkte durch den Einsatz moderner Technologien. In diesem Fall sind Baumzweige das Ausgangsmaterial.
Durch die Kombination von 3D-Scannern, algorithmischer Modellierung, Roboterfräsen und künstlicher Intelligenz entsteht ein lokaler Produktionsprozess, der auf unterschiedliche Geometrien und Objekte angewendet werden kann. Die Verschwendung von Ressourcen wird auf ein absolutes Minimum reduziert. Zweige werden ohne weitere Formgebung verwendet, um die Natur zu feiern. Die daraus entstehende Möbelkollektion wird eine erste Anwendung für diesen neuen Produktionsprozess sein.
Ein Gespräch zwischen der Kuratorin Sabine Epple und Prof. Thomas Bechinger von der Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart (abk Stuttgart) auf der GRASSIMESSE 2022 legte eine Kooperation nahe. Ausgewählte Studierende der Fachbereiche Architektur, Kunst und Design sind nun mit ihren jüngsten keramischen Arbeiten auf der GRASSIMESSE 2023 vertreten. Diese entstanden in der allen Studierenden offen stehenden Keramikwerkstatt, die der künstlerisch-technische Lehrer Jon-Hyun Park betreut – selbst als ein experimentell materialübergreifend schaffender Konzeptkünstler bekannt. Diese Präsentation vermittelt anschaulich, wie das Medium Keramik aus der Perspektive verschiedener Disziplinen ganz unterschiedlich verstanden und eingesetzt wird.
Das Gastspiel der Kunsthochschule Berlin-Weißensee wurde durch die, schon lange Jahre mit dem Museum verbundene, Produktdesignerin und Professorin Barbara Schmidt ermöglicht. Dem Projekt „CRAFT – Common Ground“ gingen folgende Fragestellungen voraus: „Was verbindet uns? Wie können wir Gemeinschaft schaffen und ein Gefühl für die gemeinsame Basis bekommen, auf der wir stehen? Wie lässt sich das Wissen um die wachsende Distanz zwischen uns Menschen und unseren Mitgeschöpfen und die daraus resultierenden, sich verschärfenden Menschengemachten Probleme in die Praxis umsetzen?“
Es geht um einfache Gegenstände, die die Bildung von Gemeinschaft unterstützen – Gefäße zum Essen und Trinken. Was bringt uns zusammen? Wie können Gegenstände die Beziehungen zwischen Menschen stärken? Wie lassen sich Beziehungen zu Gegenständen möglichst lange aufrechterhalten? Wie können Objekte ein Gefühl für unsere Verbundenheit untereinander und unsere Verbundenheit mit der Natur vermitteln?
Die Ausgangsmaterialien wurde ebenso neu überdacht wie die Fragen zu Herstellungsprozessen, also z. B. auch innovative hybride Techniken oder Arbeitsabläufe, die nicht nur den Mangel an handwerklicher Ausbildung kompensieren, sondern auch zu neuen Qualitäten führen. Das Ergebnis des Projektes zeigt sich in Objekten für eine Mahlzeit aus Keramik, Glas und anderen Materialien, die die Gemeinschaft stärken, aber auch in der Gestaltung der Mahlzeit selbst als ganzheitliches Erlebnis, einschließlich der damit verbundenen Sinneswahrnehmungen, Rituale und Regeln.
Die Nachbarschaft und Verbundenheit zur Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle zeigt sich in diesem Jahr in der Präsenz der Design-Studierenden um Prof. Klaus Michel. Sie konzentrierten sich ganz auf Experimente und Produktentwicklungen mit dem 100% ökologischen Plattenwerkstoff funderplan der Firma Fundermax. Diese hochdichten Holzfaserplatten werden in einem speziellen Herstellungsverfahren aus frischem Faserholz aus zertifizierter nachhaltiger Forstwirtschaft mit Einsatz von erzeugter, erneuerbarer Energie ohne künstliche Klebstoffe hergestellt. Die in den Holzfasern enthaltenen Naturharze werden aktiviert und als „Klebstoffe“ eingesetzt. Diese Platten werden aktuell nur im Baubereich eingesetzt. Im Sommersemester 2023 erkundete eine Gruppe Studierender weitere Optionen zum Einsatz dieses Werkstoffes. Es entstanden viele Materialexperimente und eine Vielzahl ganz unterschiedlicher Möbel, die auf der diesjährigen GRASSIMESSE vorgestellt werden.
Auch die Fakultät Gestaltung der Hochschule Wismar ist mit dem Studiengang Design sowie dem Masterstudiengang “Material Culture Design” nicht zum ersten Mal auf der GRASSIMESSE vertreten. Ausgewählte Projekte der letzten Semester, “Fairwertvoll” und “Weniger Gestalten”, betreut von Prof. Stephan Schultz, auch Mitglied der diesjährigen Jury, lenken in diesem Jahr die Aufmerksamkeit u. a. auf die Frage: „Wie sieht Gestaltung in einer reduktiven Gesellschaft aus? Welche Handlungsmöglichkeiten haben wir beim Gestalten, wenn es darum geht, einerseits Errungenschaften unseres Alltags zu erhalten und diese gleichzeitig mit weniger Ressourcen umzusetzen?“ Hier spielt neben der Berücksichtigung funktionaler, technologischer und ästhetischer Fragestellungen des Entwurfsauftrages die kritische Auseinandersetzung mit einem sozialen und ethischen Kontext eine besondere Rolle. Die Bandbreite der vorgestellten Konzepte reicht vom Schmuck, über Möbel und Interior Accessoires.
Immer wieder verblüffend neue Ansätze und Ideen im Themenkreis Schmuck und Gerät dürfen die Besucher der GRASSIMESSE alljährlich in der Präsentation der Studierenden der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim (AWK) und ihrer Professorin Melanie Isverding entdecken. Vier junge Gestalterinnen stecken 2023 die Bandbreite möglicher Auseinandersetzungen in der zeitgenössischen Schmuckgestaltung ab. Mal steht der Dialog mit dem Material im Vordergrund, mal die Individualität der Freiheit und Unabhängigkeit des Menschen im Mittelpunkt. Mal verkörpern Schmuckstücke einen symbolischen wie auch physischen Leerraum oder sie bieten sich als Vermittlungsformat an, das dem Politischen im Schmuck einen Raum zur Annäherung und Befragung gibt.
Die legendäre ALCHIMIA, Schule für zeitgenössischen Schmuck in Florenz, kehrt zu ihrem 25. Geburtstag wieder nach Leipzig zur GRASSIMESSE 2023 zurück. Leidenschaft ist das Schlüsselwort, das die Philosophie der Schule in einem Begriff zusammenfasst. Die Stärken der Alchimia-Methode sind die Verschmelzung von Tradition und Innovation, Forschung und Experiment. Die Verpflichtung hervorragender, international angesehener Lehrkräfte und Tutoren, die intensive Betreuung der Studierenden, das Umfeld des italienischen Designs, internationale Ausstellungen und die Förderung herausragender Arbeiten. Das besondere Flair dieser äußerst unabhängig agierenden, privaten Schule, die so viele bedeutende, international erfolgreiche Schmuckgestalter*innen besucht haben, wird in der Präsentation der Arbeiten von neun Absolvent*innen reflektiert und erlebbar sein.
Die Fülle konzeptioneller Ansätze im Produktdesign sowie die aufgeworfenen komplexen Fragestellungen an Gestaltung und Produktentwicklung für und in die Zukunft sind überwältigend. Sie betreffen nicht nur die Lehrenden und Lernenden an den Hochschulen sondern auch jede*n im Berufsleben stehende*n Gestalter*in, Designer*in oder Handwerkskünstler*in. Und sie betreffen natürlich auch ganz besonders alle Konsument*innen. Besuchenden der GRASSIMESSE können hier mögliche Antworten und Lösungsansätze für diese drängenden Themen finden und ihre eigene Haltung im Wandel der Welt zu mehr Nachhaltigkeit und Schonung der Ressourcen überprüfen.
Das Kunsthandwerk gibt seit Jahrhunderten ebenso überzeugende wie hochaktuelle Antworten, indem es auf die Wertschätzung natürlicher Materialressourcen, qualitativ anspruchsvolle Verarbeitung und Langlebigkeit seiner Produkte setzt. Gestaltend kreieren und begleiten diese Artefakte von jeher die kulturellen Trends und empfehlen sich damit nicht zuletzt als beredte Sammlerstücke – ein Grund warum das GRASSI Museum für Angewandte Kunst alljährlich wichtige Ankäufe auf der GRASSIMESSE tätigt, die sich späterhin als aussagekräftige Zeugnisse ihrer Zeit in der ständigen Sammlung exponieren. Diese Gelegenheit, meisterhafte und zeitgemäße Unikate und Kleinserien-Stücke zu erwerben, bietet sich auch für alle Besucher für drei Tage im Oktober – anlässlich der GRASSIMESSE.
GRASSIMESSE LEIPZIG 2023 vom 20. bis 22.Oktober 2023
GRASSI Museum für Angewandte Kunst
Johannisplatz 5–11, 04103 Leipzig
Öffnungszeiten: Donnerstag, 19. Oktober: 18 Uhr: Preisverleihung und Eröffnung, anschließend freier Rundgang (19 bis 21.30 Uhr)
Freitag, 20. Oktober: 10 bis 19 Uhr
Samstag, 21. Oktober: 10 bis 19 Uhr
Sonntag, 22.Oktober: 10 bis 18 Uhr
Titelbild: April Oh, Object – Alchimia