Die neue Vitrinen-Box im Café-Foyer des GRASSI Museums für Angewandte Kunst, auch sie ein Entwurf von Thomas Moecker, setzt sorgfältig kuratierte Exponate in Szene. Als durchaus monumentale Schatztruhe mit großem Schaufenster lenkt sie die Aufmerksamkeit der Besucher*innen auf ihr Innenleben. In der Fläche wie im Raum erlaubt sie variantenreiche Inszenierungen kostbarer Details aus der Fülle der Museumssammlungen. Aktuell, noch bis Anfang Oktober, schließen sich die dort gezeigten Präsentationen der Sonderausstellung „DANKE. MERCI. GRAZIE. HARTELIJK DANK.“ an, der symbolischen Verneigung vor den Schenkerinnen und Schenkern, die die Sammlungen des GRASSI Museums für Angewandte Kunst mit ihren Gaben bereichert und fortgeschrieben haben.
In den vergangenen fünf Jahren kamen knapp 6.000 Objekte im Bereich Kunsthandwerk und Design ins Haus, von denen nur der geringste Teil in der Ständigen Ausstellung und bis zum 5. Oktober 2025 noch in der Pfeilerhalle und im Studio-Foyer zu sehen ist. In der Box sind bis dahin wechselnde Zusammenstellungen von Arbeiten auf Papier, textilen Bildern und Möbeln zu entdecken, also von Objekten, die aufgrund ihrer Lichtempfindlichkeit oder ihres Formats in der Pfeilerhalle nicht ausgestellt werden können. In den Neuzugängen bildet sich die ganze Bandbreite zwischen historischer und gegenwärtiger Kunst ab, doch die meisten stammen aus der Zeit ab etwa 1950.

Diesen Zeitraum fokussiert auch die gegenwärtige Schau „Textile Bilder. Künstlerinnen im 20. Jahrhundert“. Dr. Stefanie Seeberg, Kuratorin der Textilsammlungen, oblag die Auswahl der Objekte aus ihrem ebenso gehaltvollen wie breitgefächerten Fundus. Ungewöhnlich für die gesamte Ausstellung ist, sie vom Schenkungsdatum her zu denken und nicht primär von einer Chronologie der Entstehung oder Zeitgenossenschaft. In Bezug auf die textile Sammlung des Museums spielten auch recht pragmatische Aspekte eine Rolle bei der Zusammenstellung. Es gibt keine permanente Textilrestauratorin im Haus, die bei zeitaufwendige Montagen, wie sie z.B. für die Präsentation von Mode auf Figurinen nötig wären, unterstützen könnte. So lag es nahe, Tapisserie und textile Bilder zu wählen, die flachliegend, licht- und staubgeschützt in Seidenpapier, in Schüben und Kästen lagern. Auch diese müssen für ihre Ausstellung vorbereitet, gereinigt und geglättet werden, doch ist der Aufwand überschaubarer.
Die nun getroffene Wahl und Inszenierung von Textilbildern ist unter mehreren Aspekten von beglückender Evidenz. Hier geht es um Werke, die sich als eigenständige künstlerische Aussage von den Beschränkungen des weiblichen Hausfleißes, der angewandten textilen Handarbeit, losgelöst haben. Autonome Künstlerinnen, die sich im 20. Jahrhundert, im Geist des Bauhauses oder auch der Burg Giebichenstein, selbstbewusst dem Textilen als der Malerei oder Grafik ebenbürtiges Medium zugewandt haben und hier faszinierende Möglichkeiten entdecken, ihre farbigen Kompositionen und Bildfindungen durch textile Materialität und Strukturen zu bereichern.
Zweifelsohne eingebettet in die stilistischen Strömungen der künstlerischen Avantgarde ihrer Zeit, vermögen diese Künstlerinnen in ihren Bildern durch das raffinierte Mehr an vibrierend lebendiger Oberflächenstruktur und farblicher, mit dem Licht spielender, dreidimensionaler Durchdringungen, eine faszinierende Bildwirkung herzustellen.

Der gewebte Wandbehang der norddeutschen Handweberin Bertha Möller, die auch auf den Grassimessen ausstellte, entstand Ende der 20er Jahre. Als größtes Exponat in der aktuellen Choreografie der Box schickt er uns auf eine Entdeckungsreise durch ein Puzzleartiges Labyrinth im Zackenstil seiner Entstehungszeit. Er lässt Pflanzen und Tiere aus dem sich malerisch überlagernden Hell-Dunkel-Spiel der Farben und geometrischen Formen auftauchen und wieder verschwinden.

In einem kuratorisch gekonnten Schachzug greift im Vordergrund der Ausstellungsinstallation eine wunderbare Applikationsstickerei „Komposition mit Halbmond“, 1983 von Gisela Grade, die Farbigkeit der Tapisserie von Bertha Möller auf und reflektiert sie in einer asymmetrischen Streifenkomposition. Die Mondsichel – die Transparenz der Strukturen aus goldenen und schwarzen Stickstichen lässt sie schweben und die Farbflächen durchdringen. Als Schülerin von Willi Sitte, Lothar Zitzmann und Irmgard Glauch an der Burg Giebichenstein in Halle fühlte sich Gisela Grade ursprünglich der Malerei und Grafik zugehörig. Doch dieses in den Dimensionen vergleichsweise kleine Werk veranschaulicht eindrucksvoll das Potential textiler Medien für die Kunst, das sie so virtuos einzusetzen wusste. Auch das zweite hier von Gisela Grade gezeigte Werk, die so ungeheuer modern anmutende, in ihrer Farbkomposition so frische „Streifenvariation“ aus handgefärbten Seiden von 1982, zeugt von großer Genialität und einem tiefen Verständnis für die Wirkungsweisen des Textilen. Anlässlich ihres 90. Geburtstages 2025 schenkte sie dem Grassi MAK viele ihrer Werke.

Christine Bube studierte Malerei an der Städelschule in Frankfurt sowie an der Kunstakademie München, bevor sie sich, vor allem in den 70er und 80er Jahren als Textilkünstlerin und Grafikerin. profilierte. Ihre poetisch-abstrakten Kompositionen wurden auch in den Tapisserie-Biennalen 1980 und 1981 vorgestellt. Aus einer umfangreichen Schenkung der Galeristin Rosemarie Jäger stammt das hier gezeigte Applikationsbild aus verschiedenen Geweben und Garnen, eine geheimnisvolle, märchenhaft inspirierende Komposition.

Mit der kleinen, geradezu preziösen Textilminiatur Formen- und Farbspiel 7 „Krug“ der Textilkünstlerin Ingrid Müller-Kuberski setzt die Kuratorin einen weiteren hinreißenden Akzent in ihrer Präsentation. Die Unwiderstehlichkeit zarter Rosétöne, deren Fragilität noch durch die scherbengleich anmutenden Textilintarsien kurviger, eine Vasenform andeutenden Linien betont wird, vermittelt souverän im heterogenen Chor der hier gezeigten künstlerischen Handschriften. Ingrid Müller-Kuberski, auch eine Schülerin der Bildteppichgestaltungsklasse Willi Sittes von 1956 bis 1962, liebt bis heute das Spontane, Intuitive kleiner und mittlerer Formate, die sie in diversen Collage und Intarsientechniken gestaltet.

In seiner realistischen Darstellung ist der gewirkte „Käfer“ der Handweberin Bärbel-Kathrin Langbein in dieser Schau einzigartig. In der Serie „Viechereien auf grünem Grund“ entstand er 1982 in der Auseinandersetzung mit der Umweltbewegung der 80er Jahre. Auch im Kreis der hier vorgestellten Künstlerinnen ist Bärbel-Kathrin Langbein mit ihrem rein handwerklichen Hintergrund eine Ausnahme. 1963 erbte sie die Webereiausstattung ihrer Lehrherrin und Tante in Hildburghausen, deren Manufaktur sie fortführte. Gleichzeitig schuf sie, seit 1978 als Mitglied im Verband bildender Künstler der DDR, beachtliche textile Kunstwerke, die auch auf den großen Ausstellungen in Leipzig, Dresden, Berlin, Krefeld und Bratislava gezeigt wurden.
Bis zum 27. Juli 2025 kann diese feine kleine Schau erlesener Textilkunst in der Vitrinen-Box im Café-Foyer erkundet werden – dann bezieht ab dem 1. August eine vielversprechende kleine Auswahl „Möbel der Moderne“ diesen famosen neuen Ausstellungsraum.